Essen. . Das schwarzweiße Foto erzählt vom alten Ruhrgebiet. Aber wer waren wohl die Mädchen, die sich vom Spielen losrissen, um kurz Modell zu stehen. Unser Aufruf trug Früchte. Im Museum Folkwang erzählten Menschen, wie es damals war, als Fotograf Leonard Freed sie ablichtete.

Werne war damals noch kein Stadtteil von Bochum, und alle 14 Tage sonntags trafen sich die fünf Brüder Skielka „draußen“ am Werner Hellweg, wo einer von ihnen wohnte. Mit Blick auf die Zeche Robert Müser, unter Tage arbeiteten sie alle damals, Mitte der 60er-Jahre. Die Männer trugen ihre guten Stoffhosen und Sonntagsjacken, die Frauen freuten sich drauf, wieder „Lustig ist das Zigeunerleben“ oder „Am Brunnen von dem Tore“ zu singen, einer der Brüder spielte so schön die Quetschkommode.

Später würden die Brüder Skielka die Jacken ablegen und dann zum Bolzen auf dem Platz nebenan gehen, mit den guten Lederschuhen! Nicht mal die rote Asche konnte sie davon abhalten. Den bunten Ball dazu klauten sie bei den Kindern, und wenn er hinterher verbeult war, bekamen sie einen neuen.

Die guten Häkelkleider

Die Mädchen hatten an diesem Sonntag die guten Häkelkleider angezogen, für die Omma immer so schöne Borten stickte, weiße Strumpfhosen dazu und schwarze Lackschühchen, die waren praktisch, weil man Dreck und Staub einfach wegrubbeln konnte und schon glänzten sie wieder. Sie stromerten durch die Schrebergärten, sausten mit Kartons die Lehmhalde runter – und wenn die große Wiese gemäht war, schoben sie das Gras zusammen und markierten sich eine Wohnung damit, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer mit Bett, eine Küche, alles aus Gras, „wir spielen Familie“:

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Gras, Industriekulisse und Strumpfhosen

Andrea hatte an diesem Tag mal wieder ein dickes Pflaster am Knie, bei Anke war die Strumpfhose schon ganz schön mitgenommen vom Spielen, aber sie durften das, auch mit den Sonntagssachen. Und dann muss da irgendwann dieser Fotograf aus den USA gekommen, der sie gebeten haben wird, mal in die Kamera zu gucken, die kleine Marion kam extra noch angelaufen, sie wollte wohl auch mit auf dem Bild sein.

Leonard Freed, der Fotograf, war damals auf Reportage-Reise durchs Ruhrgebiet, ihn faszinierte die Industriekulisse und das Leben der Menschen damit, „Made in Germany“ nannte er seine Serie, und in diesem Jahr stellt sie das Essener Folkwang Museum aus.

So ganz genau können sie sich nicht erinnern an den Foto-Termin

Die Mädchen von damals können sich heute, als Frauen von Mitte fünfzig, gar nicht mehr an diesen einen Moment mit dem Fotografen erinnern, das Gras und die Strumpfhosen haben sie mehr beschäftigt als dieser eine Model-Augenblick.

Und doch haben wir sie ausfindig machen können – als diese Zeitung das Foto von Leonard Freed vor einem Monat druckte mit der Frage, wer die Kinder seien, wurden sie gleich wiedererkannt – von ihrer Tante, die gleich anrief: „Inge, hast Du die Zeitung gelesen? Das sind doch deine Kinder auf dem Foto!“ Inge hatte das Foto gesehen, ohne die Kinder zu erkennen. Aber ein Vergleich mit anderen Kinderfotos ließ kein Zweifel: Das waren tatsächlich ihre Häkelkleider, die auf dem Bild zu sehen war, das jetzt im Folkwang Museum ausgestellt wird!

Sie meldeten sich im Museum, sie riefen Andrea an, die jetzt Masuch heißt und als Krankenschwester in Worms arbeitet, und gestern nun trafen sie sich „total aufgeregt“ im Essener Folkwang. Petra, die vierte im Bunde, war nicht dabei, sie starb, viel zu früh, im vergangenen Jahr.

Bildband als Geschenk

Die drei Cousinen aber bekamen im Folkwang einen Bildband von Leonard Freed überreicht, durften sich „geehrt“ fühlen und es „sehr, sehr schön“ finden, im Museum ausgestellt zu werden. Und sich zu erinnern. „Wenn ich das so sehe“, lachte Andrea Masuch mit viel Wonne in der Stimme, „habe ich eine furchtbar schöne Kindheit gehabt!“