Istanbul. . Erdem Gündüz blickt auf dem Taksim-Platz in Istanbul stundenlang auf Staatsgründer Kemal Mustafa Atatürk - und begründet damit eine stille Demonstration: „Ich protestiere gegen die Sprachlosigkeit der türkischen Medien und die Gewalt der Polizei“. Hunderte von Menschen machen es ihm nach.

Die junge Frau auf dem Taksim-Platz in Istanbul steht mit dem Gesicht zur schweigenden Menge. An ihrem Äußeren dürften konservative Türken einiges auszusetzen haben. Sie trägt ein schwarzes Kleid mit Ausschnitt, das deutlich über den Knien endet. Über den grauen Turnschuhen prangt am linken Knöchel ein buntes Tattoo. Ihren Mitdemonstranten hält sie ein Schild mit der Aufschrift „Boyun Egme“ entgegen – „Beugt Euch nicht“. Am Dienstagabend sind dieser Aufforderung trotz der jüngsten Polizeigewalt mehrere hundert Türken gefolgt, vielleicht sind es auch tausend.

Sie alle haben sich von der in der Türkei neuen Protestform „Duran Adam“ („Stehender Mann“) inspirieren lassen, die erst 24 Stunden zuvor der türkische Choreograph und Tänzer Erdem Gündüz geprägt hatte. Gündüz hatte bis vor kurzem noch ein Tanz-Studio am Taksim-Platz im Herzen der Millionenmetropole. Acht Stunden stand er still und stumm, schaute unaufhörlich auf ein Riesen-Porträt von Kemal Atatürk, dem türkischen Staatsgründer, am ehemaligen Kulturpalast am Taksim. „Ich protestiere gegen die Sprachlosigkeit der türkischen Medien und die Gewalt der Polizei“.

Er bat Demonstranten, die es ihm gleichtaten, ebenfalls nach Hause zu gehen. Doch da war aus der Einzeltat schon ein Massenprotest geworden. Auf dem Taksim-Platz, der sonst alles andere als still ist, verbreiten die schweigenden Demonstranten eine fast surreale Stimmung – die auch auf Unbeteiligte ergreifend wirkt. Touristen und Passanten bleiben stehen, fotografieren Demonstranten. Wer sich unterhält, tut dies leise, niemand brüllt hier in sein Mobiltelefon. (dpa/afp)