Recklinghausen.. Der Dramatiker Carl Sternheim gilt als der kritische Chronist des Bürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Inzwischen gilt es als schick, gleich mehrere seiner Stücke wie „Die Hose“, „Der Snob“ oder „Bürger Schippel“ zu verschrauben - zum Beispiel bei den Ruhrfestspielen und am Schauspiel Bochum.

Als Einzelstücke werden Carl Sternheims böse Komödien über die Geltungssucht des Bürgertums kaum noch aufgeführt. Vielleicht, weil der zynische Blick auf Anpassung und Mitläufertum, als Einzeldosis verabreicht, im heutigen Theaterbetrieb als zu leicht empfunden wird. Wenn schon, dann muss es gebündelt sein, wie man in dieser Woche gleich an zwei Beispielen sehen kann: Bei den Ruhrfestspielen versuchte gerade David Mouchtar-Samorai Sternheims Klassiker „Die Hose“ mit dem „Bürger Schippel“ zu verschmelzen, am Freitag will Anselm Weber in Bochum die ganze Theodor-Maske-Trilogie auf die Bühne bringen.

Der Fauxpas der Ehefrau

Mouchtar-Samorais Ansatz, eine Koproduktion mit dem Staatstheater Nürnberg, will zunächst nicht zünden. Schön brav nebeneinander her entwickeln sich da zwei Handlungen, bei denen man höchstens in den Hauptfiguren gewisse Parallelen erkennen kann. Hier der Kleinbürger Theodor Maske, der durch einen Fauxpas seiner Gattin sein bischen Reputation ins Wanken geraten sieht: Luise nämlich hat auf der Straße ihre Unterhose verloren. Und dort der Prolet Paul Schippel, der sich seiner prächtigen Stimme wegen plötzlich von einem großbürgerlichen Gesangsquartett widerwillig hofiert sieht, dem ein Mitglied verstorben ist. Dass Thomas Nunner beide Figuren großmäulig und mit nur minimaler Veränderung verkörpert, trägt zur Deckungsgleichheit deutlich bei.

Mit den RuhrfestspielenCharaktere wiederholen sich

Nach und nach schieben sich dann aber auch andere Rollen übereinander, als habe Sternheim sie abgepaust und lediglich in ein anderes Ambiente versetzt. Maskes Ehefrau ist den Avancen eines ihrer Logiergäste ebenso wenig abgeneigt, wie Thekla Hicketier (erotisch für zwei: Louisa von Spies), Schwester des Sangesbruders Tilmann, den Nachstellungen des Fürsten. Und Heimo Essl gebärdet sich als prominenter Dichter in der „Hose“ ebenso notgeil wie als Adliger im „Schippel“.

Penetrant blaue Tapete

Mehr an Aussage aber, als dass gewisse Typen sich eben wiederholen, kann aber auch Mouchtar-Samorai nicht aus seiner Dopplung herausholen. Während man langsam aggressiv wird durch die pene-trant blaue Tapete mit ihren prominenten deutschen Köpfen im Bühnenbild von Christoph Rasche, nimmt eine Inszenierung ihren Lauf, die als gediegen durchgehen kann. Auch wenn man sich gewisse Freiheiten mit dem Text erlaubt hat. An „Sex-Appeal“ hat Sternheim sicher nicht gedacht.