Im Arbeitszimmer meines Vaters, einem Kirchenmusiker, habe ich als Jugendlicher irgendwann die Klavierauszüge vom „Ring des Nibelungen“ entdeckt und begonnen, ihn durchzuspielen – nicht immer zur Freude meiner Mutter. Die Musik hat mich so hingerissen, dass ich keine Möglichkeit ausließ, im Wiesbadener Staatstheater die „Ring“-Vorstellungen zu besuchen.
Große Steigerungswellen
Das Soghafte, die großen Steigerungswellen, das fasziniert mich an Wagners Werk, dazu der luxuriöse Umgang mit Zeit und Zeitverläufen und natürlich die orchestralen Farben, die für mich ideale Verbindung zwischen Text und Musik zu einer Symbiose, die das Musiktheater bis heute prägt.
In den Jahren meines Musikstudiums und jetzt am Theater Hagen war und ist das Gesamtwerk Richard Wagners für mich genauso aufregend wie das von Johann Sebastian Bach. Es erscheint mir unbegreiflich, wie ein Mensch in einer einzigen Lebensspanne ein so unglaubliches Opus erschaffen kann, wobei bei Wagner im Unterschied zu Bach noch das Faszinosum hinzukommt, dass er dieses Lebenswerk ja quasi ab einem gewissen Zeitpunkt vorgeplant hatte.
Es gibt durchaus Dinge in Wagners Leben und Schreiben, mit denen ich große Probleme habe. Wagner ist für mich eine kompromisslose Künstlerpersönlichkeit, deren Werk größer ist als der Mensch selbst. Es ist spannend, dass er eine Vision vom Theater hatte, die er durchgesetzt hat, obwohl er fast daran zerbrochen wäre.
Welcher Wagner-Held ich gerne wäre? Loge, weil er den Überblick hat. Im Endeffekt ist man allerdings selbst viel näher an den Charakteren in Wagners Werken, die zwar glauben, den Überblick zu haben, aber doch immer vom Leben zerrissen werden - ob das Wotan ist oder Siegfried.
Schatztruhe geöffnet
Jede dieser Figuren hat ihren ungeheuren Reiz. Charaktere bei Wagner sind nie eindimensional, selbst eine Figur wie Erda als Urmutter menschelt bei ihm. Man muss sich mit Wagner beschäftigen, nur dann wird die Schatztruhe geöffnet. Wenn man sich ausführlich mit Wagner beschäftigt, so öffnet sich eine Schatztruhe voller Erkenntnisse über das Dasein, wie eben auch bei Goethe, Shakespeare und Mozart. Er war ein Großer.