Samentütchen und Staudenwurzeln an jeder zweiten Supermarktkasse, beim Discounter gibt es all die schönen Gartengeräte – und sogar ein Schriftsteller wie der sonst so coole Dortmunder Popliterat Mirko Kussin singt beseelt das Hohelied des Harkens, Schneidens und Grabens. In Deutschland grassiert das Grün-Fieber heftiger denn je. Wer heute mit Dreck unter den Fingernägeln zur Arbeit kommt, dem ist schon verziehen, wenn er nur murmelt: „Oh, war gerade noch mal eben im Garten, Möhren ausbuddeln.“ Trendforscher sprechen angesichts der Lust an der eigenen Scholle schon von einer „neuen Religion“.
Ob wohl Michelle Obama das allgemeine Garten-Erweckungserlebnis losgetreten hat, als sie zum Spaten griff um auf den einstigen Blumenbeeten im Garten des Weißen Hauses Kartoffeln, Möhren und Bohnen anzubauen? Oder ist der ganze Gartenrummel am Ende nur eine Frage der Landlust, hervorgekitzelt vom gleichnamigen Lifestyle-Magazin, das Monat für Monat neue Auflagenrekorde einfährt?
Jeder zweite Deutsche würde jedenfalls im Sommer für einen eigenen Garten glatt auf den Fernseher verzichten! Das hat der „Bundesverband Deutscher Gartenfreunde“ herausgefunden, der Dachverband für bundesweit rund 15 000 Gartenbauvereine. Es gibt inzwischen 17 Millionen Haus- und Kleingärten hierzulande, die durchschnittliche Fläche liegt bei 438 Quadratmetern. Wer sich in eine Kleingartenanlage einmieten will, hat es nicht immer leicht, oft werden die Flächen von Generation zu Generation weitervererbt. Wenn nicht und ein Besitzerwechsel ansteht, werden leicht ein paar tausend Euro Ablösesumme fällig; die laufenden Kosten für den Schrebergarten – Vereinsbeitrag, Strom, Wasser, kommunale Gebühren, Versicherung – werden auf etwa einen Euro pro Tag geschätzt. Und: Es sind vor allem junge Familien, die heute raus ins heckengesäumte Grüne strömen. In den letzten Jahren ist das Durchschnittsalter der Kleingartenpächter drastisch gesunken – von 56 auf 47 Jahre, sagen ebenfalls die in Berlin unter einem Dach vereinten „Deutschen Gartenfreunde“.
Schreber und der Wahnsinn
Da hat ganz offenbar ein drastischer Kulturwandel stattgefunden. Vor zwanzig Jahren reimte sich schließlich noch Kleingarten auf kleinkariert, viele Parzellen in den Anlagen der organisierten Gärtner waren verwaist. Schrebern, das roch nach Kohlrabi und Kappes, das klang nach offen oder verdeckt geführten Zaun- und Heckenkriegen, nach piefiger Enge und Vereinsmeierei, in der das Paragraphenreiten zur Lieblingssportart wird.
Und überhaupt, dieser Daniel Gottlob Moritz Schreber, nach dem die ganze Laubenpieperei benannt ist – der Mann war doch ein autoritärer Zuchtmeister und furchtbarer Seelenschinder des 19. Jahrhunderts! Sein ältester Sohn nahm sich das Leben, der jüngere Daniel Paul Schreber wurde mehr berüchtigt als berühmt mit seinem Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“, in dem er seine Depressionen, Wahnzustände und Psychosen so genau beschrieb, dass er zu einem der Lieblings-Studienobjekte von Siegmund Freud wurde.
Und heute? Heute gibt es eine Gartentherapie, die erfolgreich zur Behandlung kranker Seelen genutzt wird. Von Wuppertal aus trägt die Gesellschaft für Gartenbau und Therapie die Nachricht von der heilenden Wirkung des Säens, Pflanzens und Gießens in alle Welt; in Hattingen an der Ruhr werden an der Helios-Klinik Menschen nach Schädel-Hirn-Traumata, Hirnblutungen oder Tumor-Operationen mit einer Therapie auf einem 150 000 Quadratmeter großen Grüngelände behandelt, das eigens auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt ist. „Es sind häufig Momente im Garten, in denen sich diese Menschen wieder als fähig erleben“, sagt der leitende Therapeut Andreas Niepel, zugleich Präsident der Internationalen Gesellschaft Garten-Therapie.
Die Seele in der globalisierten Welt
Aber auch gesunde Menschen lassen allzu gern die Seele baumeln, während der Körper im Grünen ackert. Der Garten erlaubt ihnen, das zu spüren, was Psychologen die „Selbstwirksamkeit“ nennen: Eigenes Handeln schlägt sich sichtbar nieder. Der