Dortmund. . Der Dortmunder Theaterchef Kay Voges begeistert mit seiner Inszenierung des Dogma-Films „Das Fest“ von 1998. Aber das reicht ihm noch nicht: Zusätzlich konfrontiert er das Publikum mit einem ganz eigenen Manifest. Wer genau liest, spürt auch die Ironie zwischen den Zeilen.

Man kann sich das Stück anschauen und die Geschichte zur Kenntnis nehmen. Man kann Vergleiche anstellen, Kay Voges’ bedrückende, atemberaubend aktuelle Inszenierung von „Das Fest“ abwägen gegen Thomas Vinterbergs Dogma-Filmvorlage von 1998 oder auch Burkhard Kosminskis Bühnenfassung zwei Jahre später, ebenfalls hier, im Dortmunder Schauspiel.

Man kann die Zuspitzungen sehen, die ins Groteske gesteigerte faschistoide Arroganz herauslesen aus der Geschichte vom Kinderschänder Helge, der im Kreise seiner Familie den 60. Geburtstag feiern will, bis Sohn Christian (Sebastian Kuschmann) eine Rede hält und von Vaters Badetagen berichtet. Niemand wird die schauspielerischen Leistungen bestreiten, von Andreas Becks schwammig verfetteter Vaterfigur bis hinab zur schrägen Enkelgöre Dorthe (Julia Schubert). Und vergessen wird man nicht, wenn am Ende der andere Sohn (Björn Gabriel) wieder und wieder in den Vater tritt.

Foto: Birgit Hupfeld
Foto: Birgit Hupfeld

Radikale Einschnitte bei der Filmgestaltung

Man kann die Geschichte aber auch vor einem ganz anderen Hintergrund sehen. Am 13. März 1995 hatten die Regisseure des dänischen Dogma-Kollektivs, unter ihnen Lars von Trier und Vinterberg, ein Manifest unterschrieben, mit dem sie sich radikale Einschnitte auferlegten (nur Originalschauplätze, keine Bauten, kein künstliches Licht etc.) - bis hin zum verrückten zehnten Punkt: „Der Regisseur darf nicht genannt werden.“ „Das Fest“ war der erste dieser Dogma-Filme.

Jedes Studio muss ein Theater sein

Auch die Dortmunder Aufführung folgt Regeln: einem eigenen „Keuschheitsgelübde 20_13“, einem neuen Manifest – mit dem ersten Gebot, dass Dreharbeiten nur dort stattfinden dürfen, wo die Zuschauer anwesend sind. Woraus folgert, dass jedes Studio ein Theater und jedes Theater ein Studio sein muss. Konsequent weiter gedacht, hieße das die Aufhebung jeder Trennung von Film und Bühne, die Inauguration einer neuen Gattung, die nur aus dem Moment besteht. Voges’ „Fest“ folgt solchem Regelwerk - so weit es geht. Man sieht, durch eine Leinwand, im Bühnenhintergrund die Schauspieler die Kulissen schieben, permanenter Dreh im Dunklen, ein Kameraroboter überträgt.

Mal verdeckt die Illusion den Anblick ihrer Erzeugung, dann wieder fordert der Ernst der Handlung das Durchbrechen der Illusion. Wenn Christian seine Rede hält, tritt er vor die Leinwand. Und wenn Bruder Michael den Vater mit Tritten traktiert, sehen wir die fast leere Bühne. Die Illusionsmaschinerie ist fort.