Berlin.. Klassische Filmhochburgen sind nicht die Sieger der Berlinale. Die Jury setzte andere Zeichen. Es siegt das authentische Kino, das seine Geschichten und Darsteller aus dem wahren Leben holt. Osteuropa führt die Reihe beeindruckend an.
Vielleicht wird diese am Sonntag zu Ende gegangene 63. Berlinale einmal als Festival eines neuen, begeisternden Kinos gelten, das nicht mehr in den klassischen Filmhochburgen Europas oder der USA zu Hause ist, sondern weit abseits der traditionellen Haupthandelswege. Dort, wo harte Schicksale nicht für die Leinwand erfunden werden müssen, sondern wo man sie auf der Straße aufsammeln kann.
Insofern kann man die Entscheidung der Jury diesmal nicht, wie so oft in der Vergangenheit, als Gefälligkeitswertung abtun, sondern als klare Ansage, dieser Verschiebung gerecht werden zu wollen.
Nun ist Rumänien auch als Filmland wieder da
Der Goldene Bär für einen Beitrag aus Rumänien, das ist auch die Wiederentdeckung eines Landes, das man als Filmnation schon längst abgeschrieben hatte. Und nun ist da plötzlich „Child’s Pose“, der von einer Mutter erzählt, die ihren schuldig gewordenen Sohn mit allen Mitteln aus den Klauen der Justiz befreien will. Ein typisches Muttertier könnte man sagen, aber dafür ist der Film von Calin Peter Netzer viel zu komplex und vielschichtig. Eigentlich will diese ältere Dame nur ihrer Selbstverliebtheit Ausdruck geben, will sich als Angehörige der Bukarester Oberschicht beweisen. Am Ende aber wird man Zeuge einer allmählichen Wandlung, von vorsichtiger Einsicht und der Erkenntnis, dass Vergebung viel erstrebenswerter ist als der bloße Triumph.
Aus Bosnien wiederum, das man lange Zeit immer nur mit Krieg in Verbindung gebracht hat, kommt der erstaunlichste Preisträger dieses Filmfestivals. Der Große Preis der Jury für „An Episode in the Life of an Iron Picker“, das trifft hier einen kleinen Film, der von dem Oscar-Preisträger Danis Tanovic mit kleinstem Budget und minimaler Crew förmlich aus der Hüfte geschossen wurde. Von realen Ereignissen ist hier die Rede, dargestellt von realen Personen, denen das alles zugestoßen ist. Um Roma geht es und darum, wie mit ihnen in Bosnien umgegangen wird, wie sogar der Tod einer Patientin in Kauf genommen wird, nur weil das Geld für die Operation fehlt. Noch überraschender dürfte es sein, dass die Jury mit Nazif Mujic einen Mann als besten Schauspieler auszeichnete, der hier nichts anderes versucht, als kraftvoll sein eigenes Schicksal darzustellen.
Politisches Signal geht in den Iran
So ähnlich geht es dann auch weiter. Der Chilenin Pauline Garcia dankt man mit dem Preis für die beste Darstellerin dafür, dass sie in „Gloria“ als späte Single-Dame so viel Lebenslust versprüht und das Parkett fast zum Tanzen bringt.
Der kasachische Kameramann Aziz Zhambakiyevhat bei„HarmonyLessons“ einem Film zu poetischen Bildern verholfen, der von mafiösen Machtstrukturen in der Schule erzählt und von der Gewalt, die dabei von oben nach unten weitergegeben wird.
Dass der im Iran drangsalierte und mit Berufsverbot belegte Filmemacher Jafar Panahi gemeinsam mit seinem Ko-Regisseur Kamoziya Partovi für „Pardé“ einen Preis erhalten musste, war als politisches Signal eigentlich gesetzt.Am Ende ist es der für das beste Drehbuch geworden.
Deutschland, ein großer Verlierer
Während die USA zumindest mit dem hübschen Straßenarbeiter-Film „Prince Avalanche“ von David Gordon Green noch den Regie-Preis abräumen konnten, müssen sich Frankreich und Deutschland als die großen Verlierer dieser Berlinale betrachten.
Die Franzosen waren mit immerhin drei wenig überzeugenden Filmen angerückt,hatten dafür aber eine weibliche Star-Riege von Isabelle Huppert über Juliette Binoche bis zu Catherine Deneuve gleich mitgeliefert. Und während Thomas Arslans deutscher Klondike-Western „Gold“ sang und klanglos in Vergessenheit geriet, findet sich der englischsprachige und in Südafrika spielende deutsche Beitrag „Layla Fourie“ gerade noch im Trostbereich für „Lobende Erwähnungen“ wieder.Dass diese Berlinale am Ende noch ein spannendes Festival wurde, dafür haben andere gesorgt.
Weitere Preise:
Preis Bester Erstlingsfilm, dotiert mit 50 000 Euro: „The Rocket“ (Australien) von Kim Mordaunt. Er erhielt auch den Preis der Kinderjury
Alfred-Bauer-Preis (neue Perspektiven der Filmkunst): Denis Cote für „Vic + Flo haben einen Bären gesehen“ (Kanada)
Goldener Bär für den besten Kurzfilm: „The Runaway“ (Frankreich) von Jean-Bernard Marlin. Silberner Bär für „Die Ruhe bleibt“ (Deutschland) von Stefan Kriekhaus