Viva Verdi? Nicht ohne Wagner. In diesem Jahr jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag von Giuseppe Verdi. Ein Festjahr für Italien, sollte man annehmen. Tatsächlich bereiten sich die einschlägigen Opern- und Festspielhäuser schon seit Monaten auf das “Verdi-Jahr“ vor.
Rom (dapd). Viva Verdi? Nicht ohne Wagner. In diesem Jahr jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag von Giuseppe Verdi. Ein Festjahr für Italien, sollte man annehmen. Tatsächlich bereiten sich die einschlägigen Opern- und Festspielhäuser schon seit Monaten auf das "Verdi-Jahr" vor. Aber selbst wenn der Schöpfer von Opern wie "Aida" und "Nabucco" in der Musikwelt als der bedeutendste und beliebteste unter den zahlreichen namhaften Komponisten seines Landes gilt, muss er sich den festlichen Glanz heute wie damals mit einem anderen Großen seines Faches teilen: Richard Wagner.
Selbst in Italien gab es Streit darüber, mit wem die Festsaison nun eingeleitet werden soll. Von einer "Ohrfeige für die italienische Kunst" und einem Schlag gegen den Nationalstolz des Landes in Zeiten der schweren Wirtschaftskrise sprach der konservative Mailänder "Corriere della Sera", als die Entscheidung der berühmten Mailänder Scala bekannt wurde, ihr Opernjahr am vergangenen 7. Dezember mit Wagners "Lohengrin" zu eröffnen. Dass Chefdirigent Daniel Barenboim im kommenden Juni ebendort in einem zweiwöchigen Zyklus Wagners gesamte Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" dirigiert, machte die Sache nicht besser. Dabei stehen die Programme andernorts im Stiefelstaat - etwa in Rom oder Verona - ganz im Zeichen Verdis. Die Rivalität der beiden Operngiganten ist dabei nicht neu.
Die ungleichen Zwillinge
Wagner und Verdi wurden im selben Jahr geboren: Der Deutsche am 22. Mai 1813 in der sächsischen Metropole Leipzig und der Italiener am 10. Oktober 1813 im norditalienischen Dörfchen Le Roncole. Schon zu Lebzeiten galten die Komponisten als Antipoden, verkörperten zwei unterschiedliche Auffassungen ihrer Kunst. Dem realistischen Humanismus und apollinischen Maß Verdis standen Wagners romantischer Mythos und dionysischer Rausch gegenüber. Wagner galt als "Hype", als der Fortschrittliche und Moderne im Gegensatz zu Verdi, der zu seinem eigenen Kummer Wagner gegenüber als konservativ-traditionalistisch wahrgenommen wurde.
"Triste, triste, triste! Vagner è morto! - Traurig, traurig, traurig, Wagner ist tot!" schrieb Verdi 1883 an seinen Freund und Verleger Giovanni Ricordi. Die Fußnote gehört heute zu den berühmtesten Äußerungen des Italieners über seinen deutschen Kollegen. Seine ehrlichste ist es wohl kaum. Denn auch wenn man sich die beiden Komponisten nicht als unmittelbare Konkurrenten vorstellen sollte, waren sie einander nicht wohl gesonnen. Zu sehr unterschieden sie sich in Laufbahn, künstlerischem Credo und Freundeskreis. Der scheue "Bauer" aus Le Roncole hatte mit dem egozentrischen Seiden- und Parfümliebhaber aus Leipzig nur wenig am Hut - weder menschlich noch musikalisch.
"Wagner besaß ein der Einmaligkeit seiner Werke in der Zeit und seiner Ichbezogenheit entsprechendes starkes Sendungsbewusstsein (...). In allen seinen brieflichen Äußerungen (geht es) stets um ihn selbst, sein Schaffen und sein unlöslich damit verbundenes Leben", meint die Musikwissenschaftlerin Anna Amalie 1972 in einem Essay über das ungleiche Zwillingsgestirn der Oper. Verdi dagegen habe als "handfestem italienischem Opernkomponisten" das Sendungsbewusstsein gefehlt, genauso wie er als Mensch eine ausgesprochene Scheu davor gehabt habe, sich selbst zur Schau zu stellen.
Im Unterschied zu Wagner, der sich 1849 aktiv am Dresdner Maiaufstand beteiligte und auf der Flucht vor der Polizei in die Schweiz fliehen musste, habe Verdi eher widerwillig am politischen Geschehen teilgenommen, berichten Musikhistoriker. Und nur widerwillig habe Verdi sich 1861 ins erste italienische Parlament wählen lassen. Dabei wurde sein Name ungewollt zum politischen Kürzel und Symbol für die italienische Einheits- und Unabhängigkeitsbewegung "Risorgimento". V.E.R.D.I. - das stand damals für "Vittorio Emanuele Re d'Italia - Viktor Emanuel König von Italien". Und bis heute ist der Gefangenen-Chor "Va pensiero sull'ali dorate" aus Verdis Oper "Nabucco" fast so etwas wie die zweite, die inoffizielle Nationalhymne des vereinten Italien. Wagner hinterließ seinem Werk ein Festspielhaus, Verdi ein Spital und ein Altersheim für verarmte Musiker.
Nur in der Literatur kam es zu einer Begegnung
Keine direkte Konkurrenz also, Rivalität aus der Ferne aber schon. Nur selten äußerte sich Wagner, der sich in langen Briefen sonst gerne und breit über Kollegen ausgelassen haben soll, über Verdi. Ein Dorn im Auge dürfte ihm dessen frühe Popularität gewesen sein. Verdi seinerseits reagierte geradezu mit Verbitterung auf den späten Ruhm Wagners; zu sehr drohte ihm dieser, den eigenen zu überschatten. Äußerungen von Zeitgenossen, seine "Aida" sei geradezu "wagnerisch" brachten ihn auf die Palme, heißt es. Und in Briefen sind neben Lob spitze Bemerkungen über die ausschweifenden Wagner-Opern zu finden, wie die, dass er doch ein wenig schläfrig geworden sei während der Aufführung.
Zu einer pointierten Begegnung der beiden Opern-Gegensätze kommt es dabei erst "postum" in der Literatur. So stößt Verdi in Franz Werfels Roman "Verdi. Roman der Oper" bei einem nächtlichen Besuch des Teatro La Fenice in Venedig unerwartet auf die begeisterte Festgesellschaft einer von Wagner selbst dirigierten Aufführung seiner C-Dur "Sinfonie". Er wagt es nicht, Wagner anzusprechen, dieser seinerseits erkennt ihn nicht. Als Verdi später mit seiner Gondel dem anderen heimlich folgt, geht ihm durch den Kopf: "Wo er in diesen Jahrzehnten nur ein Wort über seine eigene Kunst gelesen hatte, stand genannt oder ungenannt der Name Wagner darin, ihn auszulöschen." Eine unbegründete Angst, darf man heute sagen. 200 Jahre nach seiner Geburt ist Verdi populärer denn je. dapd krl
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