Essen. Der dreistündige Film “Cloud Atlas“ springt durch 500 Jahre Menschheitsgeschichte und verbindet sechs Geschichten. Als Zuschauer lässt man sich treiben im Strom der Ereignisse und nimmt Menschen wahr, die in wichtigen Momenten über sich hinauswachsen. Immer im Zentrum: Tom Hanks und Halle Berry.

Auch wenn man noch so gern von Kinoerlebnissen berichtet, um andere auf den Geschmack zu bringen: Dieser Film sperrt sich gegen jede Form von Nacherzählung, man kann höchstens von seiner ungewöhnlichen Machart schwärmen. Außerdem wird niemand ernsthaft behaupten können, dass er beim ersten Sehen des dreistündigen „Cloud Atlas“ auch nur annähernd alle Vernetzungen zwischen den sechs parallel erzählten Geschichten begriffen hat. Zumindest sorgt der Sog der Bilder dafür, dass im Unterbewusstsein die Akzeptanz dafür wächst, dass hier über einen Zeitraum von 500 Jahren tatsächlich alles irgendwie verbunden sein könnte.

Das ist doch schon mal ein schöner Erfolg für Tom Tykwer und die Geschwister Lana und Andy Wachowski („Matrix“), die hier als Trio versucht haben, den Roman von David Mitchell zunächst zu sezieren, um ihn dann in eine machtvolle Kinofuge zu verwandeln. Dass die vielen Stars dabei in verblüffender Maskerade mehrere Rollen verkörpern, hilft bei der Verknüpfung der Schicksale und lässt sogar an Reinkarnation denken. Offenbar hat das Regietrio bei der Umsetzung tatsächlich sehr musikalisch gedacht, nicht nur weil Musik im Film eine wichtige Rolle spielt. Die kurzen Anreißer zu Beginn für jede Geschichte erinnern zwangsläufig an die Ouvertüre einer Oper.

Es beginnt am Lagerfeuer

Der Film beginnt mit dem uralten Gesicht eines Ziegenhirten, der in der postapokalyptischen Zukunft des Jahres 2346 am Lagerfeuer mit dem Erzählen von Geschichten beginnt. Wer seine Zuhörer sind, sieht man nicht, dass sich hinter den Falten jedoch das Gesicht von Tom Hanks verbirgt, sehr wohl. Er wird uns als Gestaltenwandler immer wieder begegnen, zunächst als verbrecherischer Schiffsarzt, der es 1849 auf das Leben des jungen Anwalts Adam Ewing (Jim Sturgess) abgesehen hat. Ewing führt ein Reisetagebuch, in dem er seine wachsende Abscheu gegen den Sklavenhandel beschreibt. Diese Aufzeichnungen fallen 1936 in die Hände des Komponisten Robert Frobisher (Ben Whishaw), der dadurch zu seinem Meisterwerk „Wolkenatlas Sextett“ inspiriert wird.

Frobisher unterhält eine Beziehung zu Rufus Sixsmith (James D’Arcy), der 1973 dann als Nuklear-Experte der Journalistin Louisa Rey (Halle Berry) bei der Aufdeckung eines Atomskandals hilft. Aus diesem Thriller-Material wird 2012 ein Manuskript, das auf dem Schreibtisch des Verlegers Cavendish (Jim Broadbent) landet, der von seiner Verwandtschaft gerade in ein wahres Seniorenheim-Gefängnis abgeschoben wird.

Alles beginnt zu schweben

Aus seinem Ausbruchsversuch wird später ein Film, der 2144 in Neo-Seoul bei der geklonten Kellnerin Sonmi-451 (Doona Bae) eigenständiges Denken befördert und damit eine Revolution in Gang setzt. Sonmi wird noch 2346 verehrt, wo sich ein kleiner Rest von zivilisierten Menschen gegen die Übermacht grausamer Kannibalen erwehren. Und wo der Hirte Zachry vom Anfang einer zeitreisenden Forscherin (Halle Berry) begegnet.

Als Zuschauer lässt man sich treiben im Strom der Ereignisse und nimmt Menschen wahr, die in entscheidenden Momenten über sich hinauswachsen. Gelegentlich wünschte man sich ein Verharren, um länger in einer Geschichte verweilen zu können. Die Handschrift der Regisseure ist trotzdem deutlich zu erkennen. Den Wachowskis und ihrer Kenntnis des großen Event-Kinos kann man unbesehen alle Science-Fiction-Elemente zuordnen, das futuristische Neo-Seoul ebenso wie die verwilderten Menschenfresser nach der Weltenkatastrophe.

Tom Tykwer gehören die Ereignisse in der zeitlichen Mittellage, die Komödie um den eingesperrten Verleger, der Atom-Thriller in stilsicherer 70-er-Jahre-Mode. Und ihm gehört auch dieser wunderbare Moment, wenn der Komponist Frobisher mit seinem Geliebten einen Porzellanladen betritt und plötzlich alles in den Regalen zu schweben beginnt. In etwa ist das auch das Gefühl, das man nach Betrachten dieses Films verspürt.