Essen. In seinem neuen Roman „Empörung” erzählt Philip Roth die tödlich endende Geschichte eines jungen, unangepassten Studenten zur Zeit des Koreakrieges.
Der neue Roman
- Philip Roth: "Empörung". Hanser. 204 S., 17,90 Euro.
- Das dem Roman vorangestellte Zitat sollte man durchaus ernst und als Leitmotiv nehmen. Es sind Zeilen aus einem pazifistischen Gedicht E. E. Cummings: „Olaf (auf dem was einst Knie waren) / wiederholt schier unablässig ,nicht jeden Mist fress ich'.”
- Roth (75) weitet den Roman zur Erinnerung an jeden Soldaten, der auf irgendein Schlachtfeld geführt wird.
Marcus Messner hat nie etwas offensichtlich Falsches getan. Er hat, während der High-School-Zeit, bis zur Selbstaufgabe seinem Vater in dessen koscherer Metzgerei geholfen. Um dem allgegenwärtigen Geruch von Blut ein-für-allemal zu entkommen, hat er all seinen Ehrgeiz und alle Kraft auf das Studium konzentiert – erst in Newark, dann an einem idyllischen College in Winesburg/Ohio.
Im zweiten Jahr des Koreakrieges hat ihn die drohende Einberufung zusätzlich beflügelt: Als wohlerzogener Einser-Student würde er vermutlich als Leutnant in einer weniger gefährdeten Kommunikationseinheit eingesetzt werden. Marcus Messner hat sich bemüht, alles richtig zu machen, nur um am Schluss zu begreifen, was sein Vater ihm von Anfang an hatte beibringen wollen: „Auf welch furchtbare, unbegreifliche Weise die banalsten, zufälligsten und sogar komischsten Entscheidungen die unverhältnismäßigsten Folgen haben können.”
„Man ist an sein Leben nicht nur gefesselt, solange man es lebt”
Marcus Messner ist tot. Wenige Wochen vor seinem 20. Geburtstag hat ihn in Korea ein chinesischer Soldat mit dem Bajonett abgestochen.
In seinem neuen Roman „Empörung” lässt Philip Roth den 19-Jährigen, der totalsediert in einem Lazarett in Korea dem Ende entgegendämmert, auf sein kurzes, kaum wirlich gelebtes Leben zurückblicken. „Man ist an sein Lebnen nicht nur gefesselt, solange man es lebt, man hat es auch noch am Hals, wenn man gestorben ist. . . Erinnerung auf Erinnerung. . . körperlos in dieser Grotte der Erinnerung, erzähle ich mir rund um die Uhr in einer uhrenlosen Welt immer wieder meine eigene Geschichte. . . wieder abgespielte Vergangenheit. . . soll das immer so weitergehen, während alles, was diese neunzehn Jahre real gemacht hat, während alles, was einen mitten dort hineingestellt hat, ein unerreichbar fernes Trugbild bleibt?”
Geschichte ist nicht der Hintergrund, meint der erzkonservative College-Direktor nach einer pubertär ausufernden Studentenfete und ehe einige der „Rädelsführer” relegiert werden, „Geschichte ist Bühne”. Philip Roth selbst zieht es vor, nur den zeitlichen und psychosozialen Hintergrund anzudeuten.
Das Ende von Krieg und Holocaust liegt gerade sechs Jahre zurück, am neuen Kriegsschauplatz Korea sind Hunderttausende amerikanischer Soldaten dem einstigen Verbündeten China zum Opfer gefallen, die Sowjetunion ist Atommacht, der tägliche Existenzkampf wird brutaler.
„Man hat es auch am Hals, wenn man gestorben ist”
Angst geht um, weil die Welt, in die die Menschen gestellt sind, ihre Unschuld verloren hat. Angst wie bei Marcus' Vater, der von einem Tag auf den anderen von einer nicht zu begründenden Furcht um seinen Sohn befallen wird und diesen so sehr bedrängt, umsorgt, ermahnt, dass Marcus auf das weit entfernte College in Winesburg flieht. Dieses Zurückweichen, dieses Sich-nicht-Stellen, der Unwille, sich mit anderen auseinanderzusetzen, das ist eine Art, wie Marcus seine Empörung zeigt, Widerstand leistet. Ein leiser, unaufdringlicher Nonkonformismus. Ob er sich nun weigert, sich einer Verbindung anzuschließen, oder nach einer verstörenden Liebeserfahrung mit einer Kommilitonin. Und beim obligatorischen Mittwochs-Gottesdienst lenkt er sich durch das stumme Singen der chinesischen Nationalhymne ab.
Doch gerade die Andachttermine, gerade der in Winesburg propagierte und gelebte (christliche) Fundamentalismus bewirken bei dem atheistischen jungen Mann eine andere, grundsätzlichere, folgenreichere Empörung. Während einer Sprechstunde beim Dekan kann er nicht an sich halten, versucht, den Dekan von den Atheismus-Thesen Bertrand Russells zu überzeugen.
Marcus hat wieder nichts falsch gemacht und doch einen weiteren Schritt in Richtung unverhältnismäßige Folgen getan.