Frankfurt/M. . Weil in seiner Heimat Syrien Krieg herrscht, versiegte Rafik Schamis Erzählfluss. Dennoch glaubt der Schriftsteller, der in Damaskus aufwuchs, aber seit 40 Jahren nicht mehr in seiner Heimat war, an die Macht der Phantasie. Ein Gespräch.

Die Kindheit dürfte für die meisten Menschen ein verklärter Ort sein – für Rafik Schami, der in Damaskus aufwuchs, gilt dies in besonderem Maße. Mit Britta Heidemann sprach er über die Macht der Märchen in Zeiten des Krieges und den Moment, in dem das Erzählen nicht mehr möglich scheint.

Sie kehren in Ihren Geschichten immer wieder nach Damaskus zurück – warum?

Rafik Schami: Damaskus ist der Ort, nach dem ich Sehnsucht habe, der mich geprägt hat. Dann auch der Ort, an dem ich meine Figuren am leichtesten bewegen kann. Ich kenne dort alle Gassen, alle Straßen, alle Geräusche, Gerüche, das Licht.

Wann waren Sie zuletzt dort?

Schami: Vor vierzig Jahren.

Sie waren nie wieder in Syrien?

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Schami: Ich durfte das Land nicht mehr betreten. Meine Freunde saßen 14, 15 Jahre im Gefängnis, mit dem Regime war nicht zu spaßen. Ich möchte kein Märtyrer sein. Aber ich habe viele Kontakte.

Früher haben meine Freunde mir Fotos geschickt für meine Romane, oder Straßengeräusche auf Kassette aufgenommen. Heute kann ich im Internet durch die Straßen spazieren. Und für manche Recherchen nutze ich den Untergrund.

Zum Beispiel?

Schami: Für den Roman „Die dunkle Seite der Liebe“ brauchte ich Berichte aus den Gefängnissen, es war mir wichtig, dass sie stimmten, echt waren. Ich habe den Kontakt zu ehemaligen Inhaftierten gesucht, sie anonym interviewt. Einer sagte mir einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Ich habe mir einen Tag lang vorgenommen, den Mund nicht aufzumachen, und wenn ich in Ohnmacht falle – nach drei Schlägen aber fing ich an zu rufen: Gnade, beim Propheten!“ Das erzählte der Mann mir nach 15 Jahren, und ich merkte, wie schwer es ihm noch fiel, darüber zu reden.

Werden Sie in Syrien gelesen?

Schami: Meine Bücher wurden auch auf Arabisch übersetzt, mein Verleger sitzt in Beirut. Die Bücher werden ins Land geschmuggelt, Taxifahrer bringen sie in die Buchhandlungen. Dort gibt es einen Verkauf über dem Tisch und einen unter dem Tisch. Auch ich habe damals immer im Laden gefragt: Und, hast du etwas... - Neues? Simone de Beauvoir habe ich so kennengelernt, zum Beispiel.

Jetzt gibt es Krieg in Ihrer Heimat: Welche Macht hat das Geschichtenerzählen in diesen Zeiten?

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Schami: Autoren können nur Mut machen. In der syrischen Oppositionszeitung werden Geschichten von mir gedruckt, übersetzt ins Arabische. Das macht mich sehr glücklich. Märchen sind notwendig. Nicht um Illusionen zu schaffen – jedes Werk der Kunst ist ja eine Illusion, auch ein vermeintlich realistischer Film.

Sondern um in der Phantasiewelt Hoffnung zu geben. Jedem Erwachsenen, der meint, das sei Kinderkram, dem wünsche ich, dass er den Mut fasst, sich auf ein Märchen einzulassen.

Sie entwickeln Ihre Geschichten tatsächlich erzählend?

Schami: Ja, ich erzähle mir meine Geschichten zunächst selbst. Wenn ich anfange zu lachen, merke ich mir den roten Faden – und trage die Geschichte dann meiner Familie vor. Meine Frau und mein Sohn sind große Genießer, die können Sie nicht reinlegen. Sobald es langweilig wird, sagen sie das auch. Dann probe ich bei Veranstaltungen vor Publikum, und manchmal kommt durch einen Kommentar noch eine ganz frische Idee hinein. Und so wächst die Geschichte, bis ich irgendwann merke, das ist jetzt rund. Und dann schreibe ich sie auf.

Fällt Ihnen das Schreiben schwer, angesichts der Lage in Syrien?

Schami: Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal nicht mehr schreiben kann. Aber das Einzige, was ich seit Ausbruch der Revolution verfasst habe, sind kurze Texte über Syrien – oder ich habe meine Unterschrift unter Protestnoten gesetzt. Mehr nicht. Und ich gebe Interviews, wie dieses hier, das ist Teil meiner Rettung, weil es mich ablenkt. Sobald ich anfange zu schreiben, kommen mir diese Kriegsbilder in den Kopf. Meine Romane sollen aber mit dem Krieg nichts zu tun haben.

Haben Sie noch Hoffnung, dass der zivile Aufstand in Syrien erfolgreich sein könnte?

Schami: Immer weniger. Aber ich hoffe, dass am Ende diese geschwächte Regierung aufgibt, bevor es zu einem offenen Krieg mit den Nachbarstaaten kommt. Hat uns denn dieses Assad-Regime gepachtet? Vierzig Jahre sind jetzt wirklich genug. Gleiches gilt für die Familie Saud. Ich wünsche den Menschen in Syrien und Saudi-Arabien ein Leben, wie ich es hier führen kann: Ich durfte die Frau heiraten, die ich liebe und ich darf sagen, was ich denke.