Bochum. Der Tunesier Fadhel Jaibi schien angesichts seiner Erfahrungen mit einem diktatorischen Regime genau der Richtige, um Kafkas Romanfragment „Der Prozess“ für das Bochumer Schauspielhaus zu inszenieren. Aber er bereichert die Vielzahl der Kafka-Deutungen auf und jenseits der Bühne um eine platte Pointe.

Falsch – die Bochumer Bühnenfassung von Franz Kafkas Romanfragment „Der Prozess“ beginnt eben nicht im Schlafzimmer der Hauptfigur. Dort, wo dem Bank-Prokuristen Josef K. zwei plötzlich auftauchende Männer erklären, dass gegen ihn ein Prozess angestrengt werde, dass er nunmehr verhaftet sei, sein normales Leben aber vorerst weiterführen könne. Nein, die Inszenierung des Tunesiers Fadhel Jaibi beginnt mit einem über die Bühne sausenden fahrbaren Krankenhausbett, auf dem K. gleich zu Anfang einer Art Waterboarding-Folter unterzogen wird.

Und da die Zahl dieser Betten im weiteren Verlauf beträchtlich zunimmt, der rostig-kalte Bühnenraum zudem wie ein großer nackter Schlafsaal wirkt, bleibt kaum ein anderer Schluss, als dass K. sich von Anfang an in der Psychiatrie befindet. Dass er hier seinen alten Beruf imaginiert, dass er sich am Ende gar die ganze Prozessgeschichte nur einbildet, um in diesem Irrenhaus ein Ziel zu haben. Hauptdarsteller Marco Massafra jedenfalls durchschreitet seine wie auch immer geartete Prüfung mit einer derart ruhigen und gewählten Diktion, als wolle er jeden Entscheidungsträger hier weniger von seiner Unschuld, als mehr von seiner Normalität inmitten von lauter Verrückten überzeugen.

Alptraumhaftes Labyrinth mit Partystimmung

Der Tunesier Jaibi, der in Bochum vor zwei Jahren bereits die „Medea“ allen archaischen Glanzes beraubte, er ist mit erkennbarem Vorsatz als Regisseur ausgerechnet dieses Stoffes verpflichtet worden. Schließlich bringt er genug Erfahrung darüber mit, was es heißt, in einem despotischen System zu leben, das selbst Revolutionen überlebt. Genau der richtige also, sollte man meinen, für eine Kafka-Figur, die immer tiefer in das alptraumhafte Labyrinth einer surrealen Bürokratie gerät. Wirklich bedrohlich ist in der Inszenierung dann jedoch außer den seltsamen Atembeuteln der Schauspieler nur noch wenig. Stattdessen herrscht Partystimmung, auf der schrillen Geburtstagsfeier gibt eine die Monroe, K.s erotische Auswirkung auf die Libido der Damen wird stark betont, irgendwann erklingt auch der Erzherzog-Johann-Jodler.

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Jaibi und seine Gattin Jalila Baccar lassen in ihrer Fassung wahrlich die Puppen tanzen. Aber je mehr getanzt und mit Betten gespielt wird, umso mehr verliert man das Interesse an diesem irren Tun. K., den hier niemand am Ende abstechen will „wie einen Hund“, er macht sich schon mal selbst das Bett für das nächste Waterboarding. Von Kafka heißt es, dass er lachen musste, wenn er aus dem „Prozess“ vorlas. Aber allein an einen lachenden Kafka zu denken, das zeitigt mehr Beunruhigung , als es dieser Abend je vermag.