Essen. . „Die deutsche Aussicht“ – Foto-Ausstellung mit einer Serie von Oliver Kern auf der Essener Welterbe-Zeche Zollverein spiegelt das neue Deutschland, das vielfältiger und selbstverständlicher geworden ist, aber immer noch eine Heimat von eigener Art geblieben ist.

Wie Deutschland im Ausnahmezustand ist, das zeigt sich nicht nur an Feiertagen wie heute. Da war auch die Flut von schwarz-rot-goldenen Fähnchen, Flaggen, Autofenster-Wimpeln und Rückspiegel-Kondomen, die im Sommermärchen 2006 über das Land hereinbrach. Sie hat es vielleicht ebenso verändert wie einst Christo den Berliner Reichstag, als er ihn verhüllte. Die fast lateinamerikanische Ausgelassenheit des heillos übertriebenen Schwarz-Rot-Gold-Gebrauchs könnte eine Art Exorzismus gewesen sein, der die Entpolitisierung des Nationalen vorantrieb.

Was aber macht Deutschland dann aus, was macht es zur Heimat? Oliver Kerns Foto-Serie „Die deutsche Aussicht“, die ab heute im Portal der Industriekultur auf der Essener Welterbe-Zeche Zollverein (im Gebäude des Ruhrmuseums) zu sehen ist, unternimmt den Versuch, derlei Fragen aus vielen Perspektiven zu beantworten.

Mann im Unterhemd? Gibt es noch

Deutschland, das sind also: leere sechsspurige Autobahnen unter jagenden Wolkenrossen, sanft gewellte Hügel, mal mit Radler davor, mal mit Zugvögeln darüber. Oder es sind vieleviele kleine braune Hügel, von Maulwürfen, vor einem Kraftwerkskühlturm; das sind Kanalspringer und der Bahnhof von Oberhausen, sind Jäger ohne Zaun auf der Wiese und erigierte Wohnmaschinentürme mitten in grasgrüner Buschlandschaft, das ist Leverkusen mit Pappeln am Rheinufer oder auch ein Sturm am Seddiner See in Brandenburg, der bei allem Unheil auch den lichten Moment der Hoffnung kennt.

Den deutschen Mann im Unterhemd gibt es auch noch, aber er wohnt längst im schnieken weißen Reihenhaus mit roten Ziegeln und akkurat gezirkeltem Buchsbäumen über der Rindenmulchdecke. Deutsch, das ist auch der Karton mit dem Leichtbaugrill vor einem Reisebus.

Helden des unheroischen Alltags

Oliver Kern, der bei Arno Fischer an der Fachhochschule Dortmund Fotografie studiert hat, lichtet Deutschland mit einer großen Portion Lakonik ab, ohne ins Zynische zu verfallen. Die Menschen auf diesen Bildern sind Helden ihres völlig unheroischen Alltags, ob sie sich ein Haar von der Schulter friemeln, einen Rasenmäher ziehen, mit der Tuba über die Landstraße marschieren, sich eine Zigarette auf dem Parkplatz gönnen oder wie „Was guckst du?“ gucken.

Einmal telefoniert ein winziger Mann im Windschatten eines gigantischen Brückenfußes in Dresden, und es wirkt einen Moment lang so heimlich, als wäre es noch DDR. Aber dann entdeckt man fern am Horizont die neue Kuppel der Kunstakademie. Und weiß wieder, dass Deutschland im Alltag ganz komfortabel ist und nicht viel hässlicher und nicht viel schöner als andere Vaterländer auch.

Die Ausstellung auf Zollverein (Gelsenkirchener Str. 181) läuft bis zum 13 . Januar, tgl. 10-18 Uhr, zur Ausstellung erschien ein Fotoband im Verlag Hatje Canz. Eintritt: 2 Euro/erm. 1 Euro. Mehr Informationen im Internet.