Mülheim/R. Dank Holger Bergmann gilt der Mülheimer Ringlokschuppen als eine der ersten Adressen für innovative Theaterprojekte im Revier.
Ein Park, die Volkshochschule, alte Schlossmauern – und das Halbrund eines Gebäudes, in dessen Innern man weit über die Grenzen des Kleinbürgerlichen hinausgewachsen ist. Vielleicht wäre der Ringlokschuppen noch immer ein lokaler Treffpunkt für Konzerte und Partys, für harmlose Highlights im Kleinstadtdämmerschlaf – gäbe es Holger Bergmann nicht.
Der 47-Jährige ist ein Mensch, der alte Bekannte auch nach Jahren mit herzlicher Umarmung empfängt. Gerade ist der Künstlerische Leiter des Ringlokschuppens zurück aus Berlin: Der Ringlokschuppen, von Mülheimern „der Schuppen“ genannt, ist mit dem Projekt „SchlimmCity!“ nur knapp am Bundeskulturpreis vorbeigeschlittert – „aber wir waren das Projekt der Herzen“, sagt Bergmann selbstironisch. In „SchlimmCity!“ vereinte sich im vergangenen Herbst viel von dem, wofür der Schuppen heute steht: Theaterperformances in der Stadt, Kopfhörerpartys in leeren Ladenlokalen, Bobbycar-Rennen im Parkhaus, das Verschwimmen von Grenzen – zwischen Akteuren und Zuschauern, zwischen Kunstprojekt und nur scheinbar sinnfreiem Spaß. „Es geht darum, nicht immer nur zu sagen: Alles ist schlimm!“, sagt Bergmann, der in Mülheim aufwuchs und in der City wohnt. Sondern: „Zu erkennen: Ich habe etwas zu tun in der Stadt.“
Ermöglicher, kein Macher
Möglichkeitsräume zu schaffen, das treibt ihn: „Ich bin eigentlich kein Macher, sondern eher ein Ermöglicher.“ Ein Netzwerker. Die „Liebe zum Theater“ macht eine weitere Antriebskraft aus, eine Liebe, die mit dem Theaterstudium in Bochum und Regiehospitanzen begann. Aber: „Es gibt so viele Menschen, die das besser können als ich.“ Deshalb lebt er diese Liebe als Leiter von Reihen oder Festivals.
Als 1995 der Ringlokschuppen eröffnet wurde, begann das kleine Team mit der klassischen Arbeit eines soziokulturellen Zentrums: Party, Konzerte, Lesungen. Der Schuppen aber wuchs über sich selbst hinaus, eine Entwicklung, die Bergmann mit zwei Worten beschreibt: „Glück. Zufälle.“ Was bescheiden ist, aber nicht ganz richtig. Vielleicht dürfen wir ergänzen: Wortgewandtheit. Beharrlichkeit.
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Mit Eigenproduktionen begann Bergmann das Netze-Knüpfen. Später fand René Pollesch, der atemlose Stücke-Magier aus Berlin, hier seine Revier-Basis und das Kainkollektiv eine Bühne, auf der Experimente möglich waren. Die Projekte zur Kulturhauptstadt und die Zusammenarbeit mit der Ruhrtriennale wirkten als Beschleuniger auf dem Weg zu einem Ort, der heute für innovatives Theater steht.
Über 30.000 Besucher in 2011
Ein Ort auch, dem jedes Jahr aufs neue das Wunder des Überlebens gelingt. 18 Mitarbeiter und ein nicht kleines Haus wollen versorgt sein. Das gelingt: Mit städtischem Zuschuss und seit 2010 mit Zuwendungen der Landesregierung, mit Projekt-Mitteln von EU, Bund und Land – und mit Einnahmen aus dem Stadthallenprogramm. Der Schuppen organisiert „Kultur.Gut“ mit Kabarett und Lesungen, über 30 000 Besucher kamen 2011 an 45 Abenden. Die Stadttheater der Region könnten neidisch werden. Hätte Bergmann nicht auch sie längst freundlich umarmt, Koproduktionen angeregt, Argwohn gegen die freie Szene ausgeräumt.
Die Region als „Kreativwirtschaftszone“ zu bejubeln fällt ihm allerdings schwer. Eher seien hier die Spannungen zwischen „Alltagsbewältigung und der Abhängigkeit von der globalen Industrie“ größer, sichtbarer als anderswo. Früher hat Mülheim sich als Stadt der Millionäre gefühlt. Heute stehen viele Ladenlokale leer. Wie kriegt man die (mindestens) zwei Welten zusammen? Vielleicht, indem man gemeinsam auf Monsterjagd geht. Am Sonntag beginnt das „Stadtspiel“, wer teilnehmen will, kann sich auf ruhrzilla.de registrieren. Ein großer Spaß. Ein ernster Kern: „Wir alle sind gefordert.“