Essen. Deutsche Autoren entdecken die Selbstvermarktung mit Hilfe von Ebooks. Der Online-Händler Amazon bietet hohe Gewinne – und macht schon jetzt in den USA selbst Bücher. Für die Zukunft ist auch ein Vorstoß nach Deutschland geplant. Dort zittern die Verlage.

Eine Thriller-Autorin dürfte solche Spannungsmomente lieben: Nachts saß sie an ihrem Rechner, starrte auf die Ebook-Bestsellerliste von Amazon – und verfolgte gebannt jene Sekunden, in denen ihr Buch die „Shades of Grey“ von Platz eins verdrängte. Im Blog beschreibt die Berliner Autorin Nika Lubitsch den Rausch der Zahlen. Und die Reaktion ihres Mannes: „Dann heirate doch Amazon!“

Der Bonner Autor Akif Pirincci hat die Verlagswelt hinter sich gelassen. Jedenfalls, was die Ebook-Version seines mega-erfolgreichen Katzenkrimis „Felidae“ von 1989 angeht. Für günstige 3,50 Euro ist sie im Netz zu haben. Die Bonuszugaben – ein Vorwort und Privatfotos des Autors – machen das Ebook zur „Deutschen Sonderedition“. Und befreien es darum von der Buchpreisbindung. Amazon-Kunden mokieren sich zwar über fehlende Buchstaben und Satzzeichen, loben aber den „fairen“ Preis des elektronischen Buches.

Als der Fantasy-Autor Kai Meyer ein Ebook kostenlos bei Amazon anbot, hielt es sich tagelang in den Top Five der Gratis-Charts. Meyer hat ja eine große Fangemeinde. Warum verschenkt ein Bestseller-Autor ein Buch? „Die Geschichte sollte ein kleines Dankeschön sein“, sagt Kai Meyer: „Ich hatte Geburtstag, und bei Facebook hatten mir hunderte Leute gratuliert.“ Heute bietet er die Geschichte, erweitert um einen zusätzlichen Text, für 99 Cent an – „das wird immer noch ganz gut heruntergeladen“.

„Kollaps der Buchkultur“

Der Bestseller-Versuch im Alleingang, die Zweitverwertung oder schlicht die Pflege der Fangemeinde: Deutsche Autoren entdecken die Selbstvermarktung im Netz, das „Direct Publishing“. Zwar haben elektronische Bücher bisher nur einen Marktanteil von einem Prozent. Anders als in den USA, wo Autoren mit Grusel- und Vampir-Storys zu „Ebook-Millionären“ werden können, stehen hier elek­tronische Bücher mit nur rund 4000 Downloads bereits auf Platz eins der Amazon-Charts. Selbst bei der aktuellen Gewinnbeteiligung von 70 Prozent, die Amazon zahlt, wird davon niemand so richtig reich. Fürs gedruckte Buch erhalten Autoren von Verlagen aber nur 10 bis 20 Prozent Beteiligung.

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Auch aus diesem Grund beobachtet die Branche Amazons Angebote für Autoren mit großem Argwohn. Denn der Online-Gigant, den Jeff Bezos 1994 als Garagenfirma gründete, tritt in Amerika bereits als eigener Verlag auf. Und lockt Autoren nicht nur mit Marketing, sondern auch mit großem Mitspracherecht – und überdurchschnittlichen Beteiligungen. Man erwartet, dass in wenigen Monaten auch in Deutschland eine Verlags-Sparte an den Start geht. Im Juni lud Amazon in Berlin Literaturagenten zu einem ersten Treffen ein: Um ihnen zu erzählen, was man für ihre Autoren tun könne.

Droht der Kollaps der Buchkultur?

Was bedeutet diese Offensive? „Der Buchkultur, wie wir sie kennen, droht der Kollaps“, raunte unlängst die Wochenzeitung „Die Zeit“. Stimmt das? Auf dem Ebook-Markt zeichnet sich ab, dass Amazon vor allem Genre-Autoren groß werden lässt: Thriller, Horror-Storys oder Erotik-Romane für den kurzen, schnellen Genuss bedienen die Leserschaft elektronischer Bücher offenbar optimal. Sollte es Amazon gelingen, solche Autoren leichter Bestsellerware auch auf dem Markt für gedruckte Bücher an sich zu binden, könnten diese Erfolgsgaranten in den Traditionshäusern langfristig fehlen. Das Modell der Querfinanzierung der Verlage, die mit einem Bestseller viele kleine Belletristik-Titel subventionieren, könnte dann zusammenbrechen.

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Kann man es Autoren verdenken, wenn sie ein möglichst großes Stück vom Kuchen wollen? Jene, die ihr Glück jetzt im selbstverlegten elektronischen Buch suchen, sind nicht nur Nachwuchsautoren, sondern auch arrivierte, aber unzufriedene Schreiber. Das erste Ebook, das Bestsellerin Nika Lubitsch veröffentlichte, war ein Band mit Short Storys: Ihr Verlag hatte abgelehnt. Mit der Begründung, Kurzgeschichten verkauften sich nicht.

Extrem günstige Lese-Geräte

Vor wenigen Tagen übrigens hat Amazon mit dem „Kindle Fire“ einen günstigen Tablet-PC für nur 199 Euro auf den deutschen Markt gebracht, der dem iPad Konkurrenz machen soll. Zugleich wurde der Preis für den klassischen Kindle von 99 Euro auf 79 Euro gesenkt. Nicht mit den Geräten, mit den Inhalten will Amazon nun Geld verdienen.