Bochum.. Missbrauch, Mord und Explosionen: Die „Needcompany“ liebt’s bei der Triennale dennoch leicht – und so war das Publikum in der Bochumer Jahrhunderthalle auch kaum beunruhigt vom Bühnengeschehen.
Es braucht gar nicht den Hund am Bühnenrand, um zu erkennen, dass hier auf Lars von Triers Film „Dogville“ angespielt wird. Auch in dem Bühnenstück „Marketplace 76“ vom Belgier Jan Lauwers und seiner „Needcompany“ geht es um das Verhalten von Menschen in einem Gemeinwesen, um finstere Geheimnisse, um Schuld und Sühne.
Aber anders als bei Triers Philosophie der Rache steht hier am Ende von arg gedehnten zweieinhalb Stunden ein gigantisches Versöhnungssymbol, ein Deus ex machina von geradezu Brecht‘schem Ausmaß. Das Ruhrtriennale-Publikum in der Jahrhunderthalle wurde nicht näher beunruhigt.
Dabei lernen wir in diesem Ort im Abseits mehr Schrecken kennen, als ein Leben in der Lage wäre, zu verarbeiten. Ein Jahr ist es her, dass hier durch eine Gasexplosion 24 Mitbürger und Kinder ums Leben kamen. Und ausgerechnet vor dem Jahrestag nimmt sich der Sohn der Bäckerin wegen inzestuöser Neigung zu seiner Schwester das Leben.
Sprechtheater mit bemerkenswerten Songs
Dann entführt der Klempner auch noch ein junges Mädchen und vergeht sich 76 Tage an ihr. Die Mutter der Missbrauchten nimmt sich das Leben, der Täter wird ertränkt und den Vögeln zum Fraß hingehängt. Und dann leistet der Metzger seiner querschnittgelähmten Frau auch noch etwas frühzeitige aktive Sterbehilfe.
Dargebracht wird uns dieses Sündenbabel vorrangig als Sprechtheater, unterbrochen jedoch immer wieder durch teilweise bemerkenswerte Songs, aber auch durch Bewegungen, die nur Gutmütige als Tanz bezeichnen würden. Selbst heftigste Schicksalsschläge werden mit einer Fröhlichkeit präsentiert, als ob die Akteure das Ende bereits vorwegnehmen wollten.
Inmitten dieses mit viel Leerlauf gesegneten Treibens jedoch gibt es einen verstörenden Moment: Auf Videobildern sehen wir quälend lange, wie sich das entführte Mädchen schreiend gegen ihren Peiniger wehrt. Aber was soll’s, später mischen sich die Toten ohnehin wieder unter die Lebenden und unser Klempner mutiert als lebendes Gerippe zum Clown vom Dienst.
Ruhrtriennale 2012
Die Farbe Orange breitet sich im Laufe der Zeit immer weiter aus. Sie steht für die Straßenkehrer, denen sich die junge Generation anschließt. Gemeinsam kehrt man den Müll der Alten weg, um einen Neuanfang zu wagen. Für den sorgt die koreanische Gattin des Kinderschänders, die sich als versöhnliche Hure des Ortes betätigt. Sie gebärt ein Kind vieler Väter, bei dem man eine Menschwerdung aller Scheußlichkeiten des Ortes erwarten würde. Was dann aber tatsächlich herauskommt, bringt alle zum Entzücken. Zumindest auf der Bühne.
Termine: 13., 14., 15. September. Karten: 0700 / 20 02 34 56