Essen. Konzerthäuser und Orchester sehen sich einem überalterten Publikum gegenüber. Deshalb sollen immer mehr Angebote junge Zuschauerschichten aktivieren – ein Rundgang durch die Angebote zwischen Düsseldorf und Dortmund.

Die Orchester haben ein Problem. Ihr Publikum wird immer älter, junge Leute trifft man selten im Konzertsaal. Intendanten und Orchestermanager können auf Dauer nicht nur auf gut situierte Senioren setzen, die teure Abonnements kaufen und für gute Bilanzen sorgen.

Aber nicht nur aus Finanzierungsgründen braucht die Klassik-Szene die Generation der Mittzwanziger: In Zeiten klammer Stadtkassen kämpfen die Klangkörper auch um ihre gesellschaftliche Legitimation. Und wenn Konzerthäuser sich zu Orten entwickeln, in denen eine kleine Elite Sektgläser in die Luft hält, will mancher dies nicht mehr von öffentlicher Hand gefördert wissen.

So machen sich ganze Kreativabteilungen daran, junge Erwachsene für klassische Konzerte zu gewinnen. Was unternehmen die Konzerthäuser und Orchester der Region, um Auszubildende, Studenten und junge Berufstätige in den Konzertsaal zu locken?

Hip Hop meets Klassik

Die Philharmonie Essen versucht, die Jugend mit Hip Hop und House-Musik anzulocken. Ein „niederschwelliges Angebot“ war etwa das Crossover-Konzert „Hip Hop meets Klassik“, bei dem Rapper Curse und Geiger Mihalj „Miki“ Kekenj Beats mit Bogenstrichen mischten. „Wir waren ausverkauft“, sagt Christoph Dittmann und spricht von einem „großen Erfolg“.

Auch das 1Live Klassik-Klubbing, das nach Mendelssohns Schottischer Sinfonie zum DJ-Set in den RWE-Pavillon lud, stellte die Philharmonie zufrieden, 600 von 800 verfügbaren Plätzen waren besetzt. Dittmann: „Wichtig ist, dass der sinfonische Teil nicht länger als etwa eine Dreiviertelstunde dauert. Die Aufmerksamkeitsfähigkeit von jungen Leuten darf man nicht überstrapazieren. Andererseits war ich überrascht, wie konzentriert die jungen Leute waren“.

Adoro in Dortmund

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 Diese Erfahrung hat auch Meike Knochen von der Düsseldorfer Tonhalle gemacht. „Wenn die Musik erklingt, ist es mucksmäuschenstill im Saal“. Dort fährt man besonders groß auf, um bei jungen Erwachsenen zu punkten. Eine aufwändig gestaltete Internetseite („Wie das Evangelium nach Godzilla“) kündigt das breite Angebot an. Die Party-Serie „Tonfrequenz“ ist eine Institution im Düsseldorfer Nachtleben, die Konzert-Reihe „3-2-1 Ignition“ („Zündung“) setzt auf Interaktion: Über Facebook können die Internet-Nutzer unter Vorschlägen das Thema des nächsten Konzerts bestimmen. „Love is a Battlefield“ hieß es im Juli, zu hören waren Wagner, Mahler und Tschaikowsky, gepaart mit Video-Installationen. Komplette Sinfonien bekommt das junge Publikum nicht zu hören, sagt Meike Knochen: „Wir wollen Musik machen für das Publikum von heute.“

Keine Unterscheidung zwischen E und U

Roland Vesper von der Neuen Philharmonie Westfalen, die unter anderem das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier bespielt, begegnet jungen Leuten vor allem in der „MiR Goes“-Reihe. Da steht mal Filmmusik, mal Klezmer, mal Pop von Abba auf dem Programm. „Diese Konzerte sind nicht speziell für junge Erwachsene konzipiert, sprechen diese Leute aber an.“

Die Gruppe der 16- bis 32-jährigen anzusprechen ist besonders schwierig“, sagt Christiane Peters, die Stimme der Bochumer Symphoniker. „Wir scheuen uns nicht davor, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die man erst einmal nicht der Klassik zuordnen würde wie Jethro-Tull-Frontmann Ian Anderson oder Herbert Grönemeyer. Die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik ist an dieser Stelle nicht angebracht: Es geht um die Frage, ob die Musik gut ist oder nicht.“

Gratis-Konzerte kommen an

Neben dem neu errichteten „JugendClub-Abo“ für Jugendliche ab 15 Jahren (fünf Konzertkarten kosten rund 35 Euro) hofft Peters vor allem auf die Wirkung von öffentlichen Gratis-Konzerten. „Bei solchen Veranstaltungen merken Jugendliche, dass es Spaß macht, einem Orchester zuzuhören.“

Zehn Jahre alt wird das Konzerthaus Dortmund im September. „Man sieht unserem Haus an, dass es modern ist“, sagt Sprecher Jan Boecker. „Die gläserne Fassade soll darstellen, dass es keine hohe Eintrittsschwelle gibt“. Ganz gezielt will man in Dortmund auch jüngere Leute ansprechen. Der Gestaltungsfaden zieht sich auch durch Programmhefte und Werbeplakate: Das Konzerthaus verzichtet auf historische Fotos und nutzt lieber aktuelle – bloß nichts Altbackenes.

Stolz ist man in Dortmund auf das „einzige Pop-Abo“: Seit 2006 können Konzertgänger Akustik-Pop erleben, zum Beispiel von Größen wie Chilly Gonzales oder Sophie Hunger. Auch die Konzertreihe „Junge Wilde“, die Nachwuchs-Solisten vorstellt, soll besonders Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen. Aber, so Boecker: „Wir können nur Anreize schaffen. Den ersten Schritt ins Konzerthaus muss aber jeder selber gehen.“