Klagenfurt.. Für ihren Text über einen schelmischen Jungen „Ich werde sagen: ,Hi’“ ist nun die aus Russland stammende Autorin Olga Martynova ausgezeichnet worden. Den mit 25 000 Euro dotierten Bachmann-Preis bekam sie jedoch erst nach einer Stichwahl.
Ein zugleich „poetischer“ und „witziger“Text hat den diesjährigen Bachmannpreis gewonnen, ein Text, dessen Autorin ebenfalls einen Spagat lebt, da sie nicht im deutschsprachigen Raum aufwuchs: Olga Martynova, 1962 in Russland geboren und 1991 nach Deutschland gekommen, erhielt die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung im Rahmen der 36. Tage der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Damit ist die Literatur mit dem berühmten Migrationshintergrund, eine Literatur, die mit Akzent und Akzenten spielt, noch ein Stück weiter in die Mitte des Literaturbetriebs gerückt.
Martynovas Text, ein Romanauszug unter dem Titel „Ich werde sagen: Hi!“, überzeugte mit einer Vielfalt an Themen und Ebenen: Der Junge Moritz will in eine Eisdiele gehen und „Hi!“ sagen zu einer, die „ein dunkles Mädchen“ ist, eine „Pharaonentochter“, neben der ägyptischen Mythologie geht es um Adam, Eva und das Werden eines Schriftstellers.
Am Ende denkt Moritz sich eine Einschlafgeschichte aus, die nationale Eigenheiten in der Benutzung von Balkonen beschreibt, ein Mit- und Gegeneinander der Kulturen am Beispiel trocknender Wäsche, tropfendem Blumenwasser und auslüftenden Jogginganzügen. Einen „Schelm“ nannte Juror Paul Jandl, der Martynova zum „Bewerb“ vorgeschlagen hatte, in seiner Laudatio diesen Erzähler.Mit Martynova wurde jene Autorin gekürt, die als Favoritin galt; zuletzt hatte sie den Roman „Sogar Papageien überleben uns“ veröffentlicht, soeben erschien der Gedichtband „Über Tschwirk und Tschwirka“ im Droschl-Verlag. Der noch unveröffentlichte, nunmehr preisgeadelte neue Roman ist noch im Herbst zu erwarten.
Publikumspreis für Cornelia Travnicek
Matthias Nawrat, der in der Stichwahl zum Bachmannpreis unterlag, erhielt die Silbermedaille in Form des kelag-Preises (10 000). Sein Text macht Leser „zu Komplizen eines zwielichtigen Familienunternehmens“, so Jurorin Elisabeth Keller: Wie schon in seinem gelungenen Romandebüt „Wir zwei allein“ ist die schräge Story um eine Familie, die Elektroschrott ausschlachtet, im tiefen Schwarzwald verortet.
Der mit 7500 Euro dotierte 3Sat-Preis ging an Lisa Kränzler und ihreerotisch aufgeladene Geschichte um das Heranwachsen zweier Mädchen – vorgeschlagen von Hubert Winkels. Den Ernst-Willner-Preis der Verlage (5000 Euro) erhielt Inger-Maria Mahlke, die in der ungewöhnlichen Du-Form von einer Bäckereiverkäuferin erzählte, die zur Sado-Maso-Domina wird und ihren kleinen Sohn verlässt; übrigens auch sprachlich einer der interessantesten Texte.Vorgeschlagen hatte ihn Jury-Vorsitzender Burkhard Spinnen, der sich in der Stichwahl zwischen seinen eigenen beiden Kandidaten entscheiden musste – und bei Stefan Moster, der drum leer ausging, um Entschuldigung bat.
Unverständlicherweise hatte die Jury bei der Zusammenstellung der engeren Auswahl eine preiswürdige Autorin ausgelassen: Zum Gück erhielt Cornelia Travnicek den mit 7000 Euro ausgelobten Publikumspreis.
Gestorben wird selten
Das Ausrufen von Trends in der Gegenwartsliteratur ist ein heikles Unterfangen bei nur 14 Texten. Auffällig scheint aber doch, dass sich viele der jungen Autorinnen und Autoren mit dem Heranwachsen, dem Aufkeimen von Sexualität und familiären Strukturen beschäftigten. Um die Liebe ging es nur einmal (aber mit ganz viel Pathos); gestorben wurde auch eher selten.
Halt, stimmt gar nicht: Tiere hatten durchaus zu leiden, was womöglich als kritische Reflektion gedeutet werden darf. Da wurden Hunde ins Wasser geschleudert und Katzen an die Wand, Rehe überfahren und Hühner geköpft – und weil das kopflos rennende Huhn in der Literatur ein derart häufiges Motiv sei, so Jurorin Daniela Strigl, habe sie eine „Hühnerkopfabtrennungsallergie“ entwickelt.
Zu solch pointierten Höhen schwang sich die Jury heuer eher seltener auf. Was auch damit zu tun haben kann, dass richtig, richtig schlechte Text peinliche Ausnahmen blieben und es so wenig Anlass zu Grundsatzstreits gab. Autoren wurden nicht „gegrillt“, nicht auseinandergenommen, dennoch dürfte die öffentliche Kritik zuweilen verletzend gewesen sein.
„Das hätte ein guter Text werden können“ – kann ein vermeintliches Lob noch perfider ausfallen? Aber auch das gehört dazu in Klagenfurt. Und am Ende schwimmen Juroren, Autoren und die angereisten Kritiker doch alle im gleichen See. Da muss man sich Nacktheit kaum mehr vorstellen, um manches gesprochene oder geschriebene Urteil gelassener zu ertragen.