Recklinghausen. . Im Jahr 1979 schrieb der Bühnenzauberer George Tabori das Stück „Abendschau“. Als während der Proben der Hauptdarsteller bei einem Verkehrsunfall starb, setzte man die geplante Uraufführung ab. Das Stück geriet in Vergessenheit, bis Frank Hoffmann es für die Ruhrfestspiele wiederentdeckte.

Er ist der Entertainer, der selbst am lautesten über seine Witze lacht. Auch wenn sie sich um Leben und Tod drehen – „Tumor des Jahres“, zum Schreien! Mit dem dreibeinigen Familienhund spielt er Schach, der halbwüchsige Sohn sammelt ekliges Getier, die Frau (alle bleiben im Stück namenlos) befragt inbrünstig das Spieglein an der Wand. Und wenn das nicht mehr antwortet wie erwartet, kostet es klirrend das Leben. Mit den Jahren geht eben die Schönheit dahin, doch damit könnte man ja leben, in einer idealen amerikanischen Durchschnittsfamilie wie dieser. Dann aber bringt der halbwüchsige Sohn ein absolut furchterregendes Tier mit nach Hause, unerträglich grauenvoll, leider aber auch nicht mehr zu entsorgen. Als alter, schwarz gekleideter Mann betritt es schließlich die Bühne, und es ist, wie auch sein bald darauf auftretendes weibliches Pendant, der Tod. In verschiedenen Rollen und doppelter Gestalt drängt er sich immer stärker in das Leben des Mannes, der sich davor zu flüchten versucht. Doch „Auch Hypochonder sterben“ – einer seiner matten Bühnenscherze.

„Abendschau“ ist der Titel dieses gutbürgerlichen Totentanzes, geschrieben hat ihn der große Bühnenzauberer George Tabori. Und da das Stück seinerzeit, 1979, wegen Unfalltods des Hauptdarstellers in den Münchner Kammerspielen nie aufgeführt wurde, ist es jetzt, in der Regie von Frank Hoffmann, eine veritable Uraufführung der Ruhrfestspiele. Das Ur-Motiv des „Memento mori“ (Gedenke des Todes) siedelt Tabori hier bei Leuten an, die eher an Willy Loman und seine Brut in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ denken lassen als etwa an den Brandner-Kaspar, der jüngst im deutschen Kino, von Franz Xaver Kroetz gespielt, mit dem Tod zockte. Man kann darüber spekulieren, ob George Tabori hier noch einmal eine Abrechnung mit seinem bisherigen Leben vornahm. Als ungarischer Jude war er wenige Jahre zuvor aus den USA nach Deutschland gekommen und geblieben – nach einer langen Odyssee, die vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen, ihn nach Großbritannien und dann in die Staaten geführt hatte. Fast die ganze Familie Taboris hatte in den KZs ihr Leben verloren.

Tabori blieb in Deutschland, schrieb und inszenierte bis zu seinem Tod 2007. Sich auszumalen, wie er heute sein Stück inszeniert hätte, ist reizvoll, führt aber zu nichts. Frank Hoffmann, der Intendant des Festivals, entschied sich für eine burleske, sehr dynamische Adaption des Stoffs. Das Innehalten, das Demütig-Werden kommen hier nicht vor, was durchaus im Sinne Taboris sein könnte. Der atemlos beschrittene amerikanische Way of Life bewahrt eben nicht vor der Unbedingtheit des Todes.

Trotzdem hätte diese schenkelklopfende Inszenierung schiefgehen können, versinken im peinlichen Sumpf nicht zündender Inszenierungsideen. Das aber verhindert Wolfram Koch als „Mann“, der diesen armen Typen in einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Schäbigkeit mit viel körperlichem Einsatz auf die Bühne bringt. Gleichwohl gelingt es Luc Feit („Sohn“) und Jacqueline Macaulay („Frau“), ihren Rollen kräftig Kontur zu geben. Besonders sie hat im Stück einige starke Auftritte. Eine vergnügliche, stimmige Studie als dreipfötiger Hund liefert Ulrich Kuhlmann ab, Christiane Rausch und Roger Seimetz schließlich verkörpern den Tod.

Kunst des Spiels

Zu den großen Vorzügen von Frank Hoffmanns Inszenierungen gehört es, dass er das Spiel im wörtlichen Sinne in hohen Ehren hält, dass die Akteure auf seiner Bühne sich in Gesprächen äußern, statt, was heute leider sehr verbreitet ist, sich in Deklamationen Richtung Publikum zu ergehen. Dieses Theater funktionierte auch ohne großen inszenatorischen Aufwand.

Gleichwohl muss man auch Karl Kneidls Bühne preisen. Alte Koffer hat er aufgeschichtet, Sinnbilder der menschlichen Lebensreise, eine beeindruckendes Gebirge, das zum Ende des Stückes hin zusammenstürzt.

Viel herzlicher Applaus für Darsteller und Regie-Team.

Weitere Termine: 4., 5., 6. Juni, Großes Haus der Ruhrfestspiele, Beginn 20 Uhr.

Karten Tel. (02361) 92180
Hotline: 0180 5150515 (pro Minute 0,14 € aus dem deutschen Festnetz der Telekom)

Nach „Der Revisor“ ist „Abendschau“ die zweite Regiearbeit von Festival-Chef Frank Hoffmann in diesem Jahr.