Hagen. Welch’ eine Höllenfahrt! Don Giovanni wird in seinem eigenen Sündenregister gefangen. Das Theater Hagen zeigt Mozarts „Oper aller Opern“ (E. T. A. Hoffmann) jetzt mit einer großartigen Sänger-Besetzung als Tragödie eines Manns, der jeder Frau gefallen will. Das Publikum bejubelt die Inszenierung nach der Premiere mit Beifall im Stehen.

Welch’ eine Höllenfahrt! Don Giovanni wird in seinem eigenen Sündenregister gefangen. Das Theater Hagen zeigt Mozarts „Oper aller Opern“ (E. T. A. Hoffmann) jetzt mit einer großartigen Sänger-Besetzung als Tragödie eines Manns, der jeder Frau gefallen will. Das Publikum bejubelt die Inszenierung nach der Premiere mit Beifall im Stehen.

Intendant Norbert Hilchenbach erzählt die Geschichte des Frauenhelden als Nachtstück. Bühnenbildner Jan Bammes hat dafür einen Schwarzraum geschaffen, der von einem gigantischen Raumelement dominiert wird. Zusammengeklappt erscheint diese Kulisse wie ein Buch mit marmoriertem Einband, jenes Register, in dem Don Giovannis Diener Leporello die Eroberungen seines Herrn festhalten muss („in Spanien schon tausend und drei“). Aufgeblättert bildet sie mit Wandnischen und versteckten Türen ein Sinnbild für die Selbstmaskierungen und labyrinthischen Seelenverwirrungen der Protagonisten.

Leporello und Donna Elvira unterscheiden sich vom Rest der Truppe. Sie sind die einzigen, die Rot tragen. Mit den Kleidern gruppiert Kostümbildnerin Yvonne Forster die Figuren farbsymbolisch zu Paaren. Donna Anna und Don Ottavio sowie Zerlina (Maria Klier) und Masetto (Orlando Mason) sind in Grau, beziehungsweise Weiß gewandet, für sie ist Don Giovanni eine Phantasiegestalt, auf die sie ihre eigenen Ängste und Sehnsüchte projizieren. Nur der Diener und die verratene Geliebte sehen den Don Juan als Menschen, erahnen die Gefährdung dieser rebellischen Seele.

Raymond Ayers legt die Titelrolle bewusst jungenhaft an. Sein wunderbarer Bariton ist durch und durch hell-lyrisch, schwarze, dämonische Farben fehlen ihm. Das macht es umso leichter, sich in diesen Casanova zu verlieben, der Spaß haben will, der die Treue zu einer Frau als Verrat an allen anderen Frauen betrachtet. Ayers hat am Theater Hagen eine enorme stimmliche Entwicklung gemacht, und er betont mit weichen, dennoch kraftvollen Bögen gerade das Zärtliche, Verführerische seines Helden.

Leporello ist dagegen aus anderem Holz geschnitzt. Der große Bassbariton Rainer Zaun zetert und brummelt und wirkt mit seiner Sofortbildkamera und der Strickweste wie ein harmloser Onkel, ist aber in Wahrheit der heimliche Regisseur und Biograph seines Herrn. Rainer Zaun ist zudem ein genialer Darsteller, in dessen komischen Tanz- und Parodie-Einlagen stets die Tragik des Dieners anklingt, der das Verhalten seines Herrn nicht billigen kann - und trotzdem an ihm hängt.

Donna Elvira ist der Beweis dafür, welche vernichtenden Folgen Giovannis Anbaggereien haben können. Die Sopranistin Noa Danon ist in der Premiere für die erkrankte Kristine Larissa Funkhauser eingesprungen und singt eine sensationelle Donna Elvira. Wütende Intervallsprünge liegen ihr so perfekt wie glühende Koloraturen. Die junge Sopranistin Jaclyn Bermudez ist eine Donna Anna mit viel Metall im Sopran: eine keusche Eisjungfrau mit einem im Zaum gehaltenen Sprengsatz aus makellosen Spitzentönen in der Kehle. Tenor Jeffery Kruegers Don Ottavio ist immer dann am überzeugendsten, wenn er bei Hochtonakzenten seine Stimme leicht führt und nicht andickt.

Generalmusikdirektor Florian Ludwig setzt mit den Hagener Philharmonikern Mozarts Notentext nach Erkenntnissen der Originalklangpraxis um. Er dirigiert ohne Stab, um weicher modellieren zu können, die Blechbläser spielen auf Naturtoninstrumenten und die Streicher mit schlankem Vibrato. Bei Spezialistenensembles klingt so etwas gut, bei Philharmonien hat man immer etwas Angst, weil Mozart das Orchester in glasklarem Wasser schwimmen lässt: Man hört alles. Doch das Hagener Interpretations-Konzept funktioniert, weil die Musiker voller Herz und Leidenschaft bei der Sache sind, und weil es Ludwig hervorragend gelingt, einen Don Giovanni ohne Weichzeichner lebendig zu machen und den dramatischen Zündstoff der Partitur vom ersten Takt an zur spannenden Hör-Erfahrung zu machen.

Wieder am: 16., 25., 29. Mai. Karten:02331 / 2073218 oder www.theater.hagen.de