Essen/Rom.. Heute vor 75 Jahren wurde in den katholischen Kirchen des deutschen Reichs die Nazi-kritische Enzyklika „Mit brennender Sorge“ verlesen. Mit dem bislang einzigen päpstlichen Rundschreiben, das nicht auf Latein, sondern auf Deutsch verfasst war, war der Kirche ein beispielloser Geheim-Coup gelungen.
Die Predigt hat gesessen. Als am Palmsonntag 1937, heute vor 75 Jahren, in allen katholischen deutschen Kirchen von der Kanzel herab vor der Nazi-Diktatur gewarnt und deren Ideologie von Volk und Führer als „Irrlehre“ und „Götzenkult“ verurteilt werden, dürfte es vielen Kirchenbesuchern kalt den Rücken herunter gelaufen sein. „Spannung, Stille, Schweigen“ – auf diesen Dreiklang bringt der ehemalige Essener Dompropst Ferdinand Schulte Berge seine Erinnerungen an jenen Moment, den er als Teenager in der Gladbecker St. Marien-Kirche erlebte. Bei manchen sei die Information über das brisante Schreiben wohl „schon vorher durchgesickert“, sagt der 93-Jährige. Doch für die allermeisten Kirchenbesucher war es eine Überraschung.
Auch für das Nazi-Regime. Mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ war der Kirche ein beispielloser Geheim-Coup gelungen. Nach Unterzeichnung durch Papst Pius XI. am 14. März in Rom wurde das brisante Papier per Diplomaten-Post in die Berliner Vatikan-Vertretung geschmuggelt. Von dort ging sie mit vertrauenswürdigen Kurieren in kircheneigene oder befreundete Druckereien, so dass am Ende rund 300 000 Exemplare auf oft abenteuerlichen, äußerst konspirativen Wegen ihren Weg in die damals rund 11 500 katholischen Kirchen fanden.
Die Gestapo bekam erst am Vorabend ein Exemplar des „hochverräterischen“ Texts. Auf seinem Berghof soll Hitler über den Fund getobt und die sofortige Beschlagnahme aller Exemplare gefordert haben. Doch dafür dürfte es schlicht zu spät gewesen sein.
So konnten Tausende Priester weitgehend ungestört das Papst-Schreiben vortragen: „Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen...“ Der Polizist in Hauenhorst bei Rheine, der dem Priester die Enzyklika noch auf der Kanzel entriss, war eine Ausnahme.
Die Enzyklika, die ausnahmsweise nicht auf Latein, sondern als einzige in der Kirchengeschichte auf Deutsch verfasst war, war eine Antwort der Kirche auf die mannigfaltigen Verletzungen des 1933 mit Hitler geschlossenen Konkordats. Trotz der darin festgelegten Rechte der Kirche wurde das katholische Leben im Deutschen Reich immer mehr eingeschränkt.
Stillhalten oder aufbegehren?
Schulte Berge, damals frisch gebackener Abiturient, war in dieser katholischen Szene gut vernetzt: „Ich war im Bund Neudeutschland“, einem der Verbände, die zunehmend unter Druck gerieten. „Trotzdem haben wir das Verbandsleben ziemlich lang weitergeführt. Wir waren kein Geheimbund, aber wir hatten viele inoffiziell arbeitende Gruppen.“
Intensiv habe man damals an der Basis beobachtet, wie die Bischöfe auf die zunehmenden Bedrängungen reagierten. „Da war der Breslauer Kardinal Bertram, dem es wichtiger war, dass auch die letzte katholische Frau noch eine Krankensalbung bekommt, als dass die Jugendverbände erhalten blieben“, sagt Schulte Berge. Und andere wie der Münsteraner Bischof von Galen, der auch öffentlich gegen die Nazis Position bezog. Stillhalten, um der Seelsorge willen oder aufbegehren?
Letztlich wählten die Bischöfe den öffentlichen Weg. Anfang 1937 reisten Kardinal Bertram, Bischof von Galen, der Berliner Bischof Preysing und der Münchener Kardinal Faulhaber nach Rom. Auch der deutsche Vatikan-Botschafter Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., war an der Enzyklika beteiligt.
In Schulte Berges Umfeld war die Reaktion auf das Schreiben sehr positiv. „Wir haben aufgeatmet und uns über die klaren Worte gefreut“, erinnert sich der Theologe. Doch außer zusätzlicher Motivation, der Kirche trotz Unterdrückung treu zu bleiben, blieb der Text ohne konkrete Folgen. Zwei Tage später brandmarkte das Regime die Enzyklika als „Kampfansage gegen die Reichsregierung“ und rächte sich vor Ort mit Hausdurchsuchungen in kirchlichen Druckereien, Verhaftungen und stellte Priester wegen angeblicher Sittlichkeitsvergehen vor Gericht.
Historisch bleibt „Mit brennender Sorge“ ebenfalls umstritten. Weder fallen die Worte „Nationalsozialismus“ oder „Hitler“ – so wollte der Klerus einen endgültigen Bruch mit Hitler verhindern --, noch wendet sich das Schreiben gegen die Judenverfolgungen. Pius XI. hat in einer weiteren Enzyklika die Rassenideologie der Nazis verurteilen wollen. Doch nach seinem Tod verzichtete sein Nachfolger Pius XII. auf die Veröffentlichung des Entwurfs aus Sorge vor negativen Auswirkungen. Obwohl er sich persönlich für Juden in Rom einsetzte, schwieg Pius XII. zum Holocaust. Ob er indes mit deutlichen Worten Einfluss auf die Lage in Deutschland hätte nehmen können, bleibt unter Historikern umstritten.