Essen. . Die Buchbranche streitet, was auf die Liste darf – und fürchtet sich vor Amazon. Denn dort publizieren Autoren selbst.

Seit 28 Wochen steht Jonas Jonassons Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ auf der „Spiegel“-Bestsellerliste, in dieser Woche erneut auf Platz eins. 530 000 Exemplare des Buches habe man, so der Verlag, in Deutschland jetzt verkauft. Doch ab Herbst wird ein Buch wie dieses nicht mehr auf der Liste zu finden sein, die der „Spiegel“ jede Woche druckt: Denn dann werden nur noch Werke mit festem Einband Aufnahme finden. Die preisgünstigeren Klappbroschur-Titel werden fortan in der Taschenbuch-Bestsellerliste berücksichtigt. Dies betrifft vor allem Bücher der Verlage dtv (Dora Heldt, Jussi Adler-Olsen) und Piper (Charlotte Roche).

Na und? Ein langweiliger, interner Streit, könnte man meinen. Doch tatsächlich offenbart der Blick auf das Bestsellerlisten-Gewese die Nervosität einer Branche im Umbruch. Es geht um Abgrenzung: von Literatur gegenüber Unterhaltung, aber auch von Druckwerken gegenüber digitalen Publikationsformen.

Wer hat, dem wird gegeben

Vor allem aber geht es um Geld. Schließlich gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Die Top 20 der „Spiegel“-Bestseller werden von vielen Buchhandlungen ausgestellt und finden so noch mehr Käufer. Dass nun auf dieser Liste so viel „leichte“ Literatur zu finden ist, das galt vielen in der Branche als Ärgernis. Und so entschlossen der „Spiegel“ und das ausführende Magazin „Buchreport“ sich zur Umstellung. „Es könnte sein, dass nun mehr literarische Titel auf höhere Plätze kommen“, sagt Thomas Wilking, Chefredakteur des Dortmunder „Buchreport“. Immerhin sind auf der aktuellen Liste neun der 20 Erstplatzierten Softcover-Bücher, da könnte einiges nachrutschen.

Allerdings haben die Verlage bereits angekündigt, nun im Zweifelsfall bei ihren Top-Titeln auf Hardcover setzen zu wollen. Denn in der Taschenbuchliste würden die Klappbroschurbücher auf höhere Verkaufszahlen der Konkurrenz stoßen, könnten also reichlich Boden verlieren.

Überraschende Kindle-Bestseller

Der „Focus“ hingegen, der seine Bestsellerliste von Media Control erstellen lässt, will die Softcover „erstmal“ nicht verbannen. Die „Spiegel“- und die „Focus“-Liste sind die beiden größten, maßgeblichen. Beide Listen zeigen, wie viele Exemplare eines Titels in der vorvergangenen (!) Woche verkauft worden sind. Für die „Spiegel“-Liste werden rund 450 Händler befragt. Für die „Focus“-Liste über 3000 – darunter, im Gegensatz zum Spiegel, auch Online-Buchhändler. Zudem ermittelt Media Control eine monatliche Ebook-Bestsellerliste. Darauf finden sich im März viele Krimis, zweimal ist Jussi Adler-Olsen dabei. Ganz ähnlich sehen die Listen der einzelnen Ebook-Anbieter aus.

Eine überraschende Abweichung offenbart der Blick auf Amazons Bestsellerliste für seinen Ebook-Reader Kindle. Denn hier finden sich auch Titel, die es sonst nirgendwo gibt. Der Thriller „Rachezug“ des Göttinger Geschichts-Studenten Michael Linnemann etwa steht derzeit auf Platz drei und ist für gerade mal 99 Cent zu haben. Dabei gilt doch bislang auch für Ebooks die Buchpreisbindung ! Des Rätsels Lösung: Linnemann ist ein „Direkt Publisher“, er stellt seine Bücher eigenhändig auf Amazons Internetseite, wo sie als Ebooks angeboten werden. Von diesem Angebot machen zunehmend Autoren Gebrauch, die von Verlagen abgelehnt werden oder deren gedruckte Bücher nicht so erfolgreich waren wie erhofft. 30 Prozent der Einnahmen müssen sie abgeben. Trotzdem läppert sich ihr Umsatz. In den USA gibt es bereits Autoren, die mit Billig-Ebooks – darunter Vampir-Stories oder „paranormale“ Liebesromane mit Gruselflair – Hunderttausende Dollar verdienen.

Amazon als Verleger

Und in den USA ist Amazon auch schon Verleger. Ein Umstand, der die deutsche Verlagsbranche nervös macht: Was, wenn der Internetriese seinen Autoren auch hier ein Vollprogramm anbietet, Lektorat und gedruckte Bücher inklusive? Und was, wenn es Amazon tatsächlich gelingt, an der Buchpreisbindung für Ebooks zu rütteln? Zwar liegt der Ebook-Anteil auf dem deutschen Buchmarkt immer noch bei rund zwei Prozent. Aber: Es ist die einzige Sparte, die noch wächst.