Wuppertal. . Der Start verlief erfolgreich. Am 12. März 1912, vor ziemlich genau 100 Jahren, eröffnete Herwarth Walden seine Berliner „Sturm-Galerie“.

Befreundete Künstler der Vereinigung „Blauer Reiter“ standen im Mittelpunkt des Interesses, Kandinsky, Marc und Macke. Und wahrscheinlich haben sie ihre Bilder sogar selber aufgehängt. Nun erinnert das Wuppertaler Von der Heydt-Museum mit einer fulminanten Bilderschau an Waldens visionäres Galerie-Projekt, das unerwartet lange – bis 1932 – Fortsetzungen fand. Und Kunstinteressierte fragen sich verdutzt, was das ganze mit Wuppertal zu tun hat.

Die Antwort ist im Grunde einfach. Zum einen galt die Stadt durch fortschrittliche Sammlerpersönlichkeiten wie August von der Heydt vor 100 Jahren als so etwas wie eine Kernzelle der modernen Kunst, zum anderen war Galerie-Begründer Herwarth Walden in erster Ehe mit der exzentrischen Wuppertaler Dichterin Else Lasker-Schüler liiert. Eigentlich also, man ahnt ein Schmunzeln auf dem Gesicht von Von der Heydt-Direktor Gerhard Finckh, wenn er das sagt, eigentlich gehört die Geschichte des Sturms nach Wuppertal und nicht nach Berlin. Was man schon daran erkennen könne, dass die Berliner diesen 100. Geburtstag nicht feiern. Ein unumstößlicher Beweis.

Die Wuppertaler Ausstellung geriet mit rund 200 präsentierten Arbeiten eindrucksvoll. Ihrem Anliegen, Herwarths großes, erfolgreiches Avantgarde-Projekt nachzuzeichnen, wird sie dank zahlreicher Leihgaben aus der ganzen Welt gerecht. Hier hängen wieder Bilder nebeneinander, die auch damals schon nebeneinander hingen und die seitdem in alle Welt verstreut waren; die Besucher begegnen auch Werken von Feininger, Kokoschka und Chagall in reicher Zahl, nach dem Ersten Weltkrieg auch den Vertretern des Konstruktivismus wie Oskar Schlemmer oder Lazlo Moholy-Nagy, Wegbereitern des Bauhauses.

Die Galerie war genau betrachtet das zweite Projekt Herwarths. 1910 schon hatte er den „Sturm“ gegründet, eine „Kampfzeitschrift für moderne Kunst“ nach eigenem, selbstbewusstem Bekunden. Das Blättchen kam zunächst wöchentlich in Berlin heraus, hatte um die acht Seiten und zeigte als Titelbild meistens eine graphische Arbeit, ornamental posierende Badende von Max Pechstein ebenso wie pointensicher auf das Blatt geworfene Tanzende von Ernst Ludwig Kirchner, beispielsweise. Die Ausstellung präsentiert etliche Beispiele. Drittes „Sturm“-Projekt war kurz vor dem Krieg schließlich noch eine Bühne, die expressionistische Dramen spielte.

Die „Sturm-Galerie“, meint Finckh, habe sich auch durch Frauenförderung hervorgetan. Ein Raum ist deshalb jetzt den Künstlerinnen vorbehalten, weniger bekannten wie Jacoba van Heemskerck, Marthe Donas oder Emmy Klinker, bekannten wie Gabriele Münter, Sonia Delaunay-Terk oder Marianne von Werefkin, die früh auch bei Herwarth hingen.

Besuch bei Osthaus

Für ihre Kampfzeitschrift begaben sich Herwarth, Lasker-Schüler und Kokoschka übrigens auch auf eine Werbereise, stopften Exemplare des „Sturms“ in die Briefkästen betuchter Mitbürger und sorgten allgemein für Aufsehen. Die Reise führte sie nach Bonn, Düsseldorf, Köln, Elberfeld und Hagen, wo sie vermutlich auch mit Folkwang-Gründer Karl-Ernst Osthaus zusammentrafen. Der war mit seinem Bemühen um die moderne Kunst Verbündeter und Konkurrent zugleich. Leider erzählen weder Ausstellung noch Kataloge Genaueres über eine solche Begegnung – einziger Minuspunkt dieses beeindruckenden Projekts.