Essen. iPhone gegen Mozart & Co? Dirigenten unterbrechen Konzerte, das Publikum probt den Aufstand, die Künstler sind genervt, aber ein Kraut gegen das Klingeln von Mobiltelefonen in Konzerten scheint nicht gewachsen. Eigentlich hilft nur: taktvolles Benehmen
In der an Ereignissen nicht armen Geschichte der New Yorker Philharmoniker begab sich unlängst etwas, das wohl auf ewig zu den unvergesslichen Momenten eines Weltklasseorchesters gehören wird. Man spielte den Schluss von Mahlers Neunter – und ein Handy klingelte.
Es klingelte, das kommt schon mal vor, aber es hörte nicht auf. Es war „Marimba“, dieser schlichte weltmusikalische Xylophon-Ton, mit dem iPhones sich melden.
Beim ersten Klingeln machte Alan Gilbert, Dirigent und Orchesterchef, noch den Versuch, über einen bösen Blick, den Ton zum Schweigen zu bringen. Es half nichts. „Minutenlang“, sagen Ohrenzeugen, klingelte es. Da hatte das Orchester seinen Dienst an Mahler längst eingestellt. Gilbert soll dann so eisig wie gelassen in Richtung des Besitzers gesagt haben: „You have a phone ... Fine, we’ll wait.“ („Sie haben ein Handy... Schön, dann warten wir mal!“).
„Schmeißt ihn raus!“
Klassische Konzerte sind selten ein Ort für Tumulte. In der Avery Fisher Hall aber war man kurz davor. „Schmeißt ihn raus!“ schrien wütende Zuhörer und zeigten mit dem Finger in Richtung der andauernden Marimba-Klänge.
Richtig ausgeschaltet, sagen Besucher des erinnerungswürdigen Abends, habe der Mann es erst, als Maestro Gilbert quer durch den Saal gefragt habe. „Ist es aus? Klingelt es auch bestimmt nicht wieder?“. Der Marimba-Mann nickte.
Längst ein vertrauter Schrecken
Wir haben es hier nicht mit einer Legende zu tun. Erstens ist der Vorgang verbrieft, zweitens wird jeder Konzertgänger den traumatischen Augenblick kennen. Das Handy-Klingeln im Konzert hat sich zum vertrauten Schrecken entwickelt. Es ist dies ein Anruf von unterschiedlicher Wirkung. Empörung ist die eine – bei denen, die nie darauf kämen, technisches Gerät zu Beethoven einzupacken. Panik ist die andere – bei denen, die diesen Fetisch gesellschaftlicher Unentbehrlichkeit in Sakko oder Handtasche lagern und augenblicklich fürchten, es handele sich um das ihre. Und schließlich gibt es noch den kalten Schauer dessen, bei dem es klingelt.
Was tut man mit ihm? „Er ist eigentlich genug gestraft“, sagt der Chef der Dortmunder Philharmoniker, Jac van Steen. Van Steen hat schon viele hundert Konzerte dirigiert, aber sein erstes mit Handy-Störfeuer hat er nie vergessen. „Es war beim Hallé Orchestra, wir haben abgebrochen. Damals hat das tagelang die englischen Zeitungen beschäftigt!“ Zehn Jahre ist das her. Zehn Jahre, in denen es immer schlimmer geworden ist – und normaler. „Am ärgsten ist es in China“ weiß van Steen, „da klingelt es dauernd, während man musiziert!“
Selbst Bayreuth blieb nicht verschont
Ist es Gedanken- oder Hemmungslosigkeit? Studien zum Thema stehen noch aus. Es gibt nur Erfahrungen: deprimierende, die den künstlerischen Kraftakt von Konzert oder Oper regelmäßig zum Business-Termin verkommen lassen. Selbst im Heiligtum Bayreuth: Bei der „Lohengrin“-Premiere 2010 schepperte es in den ersten Aufzug hinein – immerhin war es ein Klingelton, der die alten Bakelit-Telefone zitierte: ein Hauch Nostalgie für den Hügel.
Es sind solche Momente, wo die Nerven eines Tenors mehr bedeuten als seine Stimmbänder. „Soweit möglich, versuche ich, Handy-Klingeln zu ignorieren“, sagt Klaus Florian Vogt, Bayreuths aktueller Lohengrin. Nicht immer gelingt es, es könne schon „sehr stören“. Wie viele seiner Kollegen sieht auch der Startenor keine Lösung: „Man kann nur – wie es schon gemacht wird – am Anfang einer Vorstellung darauf aufmerksam machen und darum bitten, Handys abzuschalten.“ Der Rest bleibt, wie so vieles in der Musik: eine Frage des Taktes.
Opfer ist das Publikum
Wenn es klingelt, hat Xavier de Maistre ein zartes Instrument gegen die Attacke zu verteidigen. Er ist Harfenist und war Wiener Philharmoniker. Wie stark ist das ein Angriff auf die Kunst? „Ärgerlich ist es immer“, sagt de Maistre, aber „in einem leisen Moment oder noch schlimmer in einer Pause ist es ein atomischer Angriff. Es kann die ganze Spannung zerstören.“ Aus dem Konzept bringe ihn das nicht („Wir sind Profis!“). Fatal seien aber die Folgen für das Publikum. „Es nimmt manchmal richtig Zeit, bis die Leute wieder voll dabei sind.“
Nicht jedem ist der Humor gegeben, mit dem Jac van Steen kürzlich im Dortmunder Konzerthaus dem mobilen Störenfried begegnete. Es klingelte aus den ersten Reihen, van Steen drehte sich um und sagte: „Wenn’s meine Frau ist, sagen sie, ich rufe zurück!“