Essen.. Woche für Woche ein Gedicht für die „Deutsche Bergarbeiter-Zeitung“: Vor 100 Jahren starb der Bergmann, Ruhrgebietsschriftsteller und Gewerkschafter Heinrich Kämpchen – 1847 in Altendorf (heute Burgaltendorf) an der Ruhr geboren, begraben auf dem katholischen Friedhof in Bochum Linden.
Über 4000 Menschen sollen es gewesen sein, die im März vor 100 Jahren seinem Sarg folgten, in dem man ihn zunächst aufgebahrt hatte, mit langem weißem Bart. Auf dem katholischen Friedhof von Linden an der Ruhr, das damals noch nicht zu Bochum gehörte, drängten sich die Menschen. Dabei musste Heinrich Kämpchen bis zuletzt von kümmerlichen 40 Mark im Monat leben – ein Knappschaftsarzt, der seine Gedichte schätzte, hatte ihn zum Berg-Invaliden geschrieben, als Kämpchen im ganzen Revier keine Arbeit mehr fand, weil ihn die Zechenbarone auf einer „Schwarzen Liste“ führten, nachdem er auf der Zeche Hasenwinkel einen Streik organisiert hatte. Er bekam Anfahrverbot auf Lebenszeit – und Zeit für jene Gedichte, die ihn weit über seinen Tod hinaus berühmt machen sollten als ersten Literaten der Arbeitswelt. Und als einen, der nicht nur über sie schrieb, sondern auch aus ihr kam.
Berginvalide
Geboren 1847 als Sohn eines Bergmanns im heutigen Burgaltendorf an der Ruhr, soll Kämpchen nach der Elementarschule noch zwei Jahre Privatunterricht bekommen haben. Das könnte – neben der väterlichen Bücherwand – seinen gekonnten Umgang mit Versfüßen und Rhythmen erklären. Mit 16 dürfte er seine erste Stelle als Bergmann angetreten haben, später war er 24 Jahre lang Hauer auf Hasenwinkel in Linden. Schon damals will er beim „Buttern“ unter Tage heimlich mit dem Bleistift Gedichte auf die „Butterdüte“ geschrieben haben („Wie ich dichte“). Kämpchen wusste, wovon er schrieb. Und als Berg-Invalide mit einer Hunger-Rente war es für ihn ein willkommenes Zubrot, dass die „Deutsche Bergarbeiter-Zeitung“ aus Bochum ab 1890 jede Woche ein politisch-kommentierendes Gedicht von ihm druckte, meist auf der Titelseite. Als es 1897 für eine Weile ausblieb, protestierten die Abonnenten beim Chefredakteur Otto Hue.
Sein „Ich“ war ein „Wir“
Was die Leser spürten und schätzten: Selbst wenn Kämpchen „Ich“ schrieb, meinte er stets das „Wir“ der Arbeiter. Er, der auch Rheinromantik konnte, wenn es darauf ankam, protestierte voller Wut in Reimen gegen Hungerlöhne und das willkürliche „Nullen“ von Kohlewagen, voller Bilder steckten seine Gedichte, die an Schiller und Heine, Herwegh und Freiligrath geschult waren. Und während sich ein Rilke in der Sommerfrische von Viareggio mit Versen wie „Armut ist ein großer Glanz aus Innen“ von jeder Realität abdichtete, fand Kämpchen klare, sprechende, unabweisbare Bilder für Ausbeutung und die weniger glänzenden Spuren, die Armut auch im Innern der Menschen hinterlässt. Selbst der Neigung der Bergleute, ihren Arbeitsplatz zu romantisieren, schob er mit düsteren Bildern von „Tief unten“ einen Riegel vor. Als 1908 bei einer gewaltigen Schlagwetter-Explosion auf der Zeche Radbod in Bockum-Hövel 349 Bergleute wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen, die ja nur den Profit gemindert hätten, ums Leben kamen, wechselte der sonst stets reimende Dichter Kämpchen wie um Fassung ringend in den freien Rhythmus einer feierlichen Ode.
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Die bloße Anklage aber war Kämpchen, dem Gewerkschafter und SPD-Parteitagsdelegierten, nicht genug. Er, der die Meuterei auf der „Potemkin“ begeistert begrüßte, aber auch einen betrügerischen „Wurstmacher von Duisburg“ ironisch verspottete, forderte von den Bergleuten, sich weder in ihr Schicksal zu ergeben, noch in den Schnaps. Er forderte stattdessen von ihnen, was ihnen als einziges Mittel gegen Ausbeutung blieb: Solidarität.
Fünf Tage nach Kämpchens Beerdigung aber brach der dritte große Bergarbeiterstreik im Revier aus. Er scheiterte. An der mangelnder Einigkeit der Bergleute, die sich in drei Gewerkschaften hatten spalten lassen. Kämpchen, der das alles ahnte, hatte noch auf dem Sterbebett davor gewarnt, eine „Letzte Mahnung“.
Mit einem musikalisch-poetischen Abend soll am 6. März ab 19 Uhr in der Wittener Zeche Nachtigall an Kämpchen erinnert werden. Die Wissenschaftlerin Ingrid Telsemeyer und Hanneliese Palm vom Fritz-Hüser-Institut für Arbeiterdichtung Leben und Werk vorstellen. Das „Duo Saago“ vertont dazu auch bisher nicht gesungene Verse des Ruhrgebietspoeten.