Essen. . Der Geograph, Metropolen- und Ruhrgebietsexperte über die Eigenarten der Region: Eine klassische Metropole können wir nicht sein, aber das brauchen wir auch nicht: „Es ist ein gewaltiger, vielseitiger Aktionsraum mit vielen liebenswerten kleinen Welten.“

Das Wort von der „Metropole Ruhr“ geht heute manchem schon leicht über die Lippen, anderen kommt er immer noch ein wenig vollmundig vor. Wir sprachen über das Thema mit einem, der’s wissen muss: Prof. Bernhard Butzin ist nicht nur Metropolenforscher, sondern kennt auch das Ruhrgebiet, als Wissenschaftler und Einwohner.

Wir fragen Sie ganz direkt: Sind wir eine Metropole?

Bernhard Butzin: Eine Metropole im gängigen Verständnis, das kann mit dem Ruhrgebiet gar nicht gehen. Das bedeutet nur ein ewiges Hinterherhecheln hinter den klassischen Metropolen. Das brauchen wir nicht, das schaffen wir auch nicht.

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Wo positioniert sich diese Region dann?

Auch wenn Globalisierung ein abgenutztes Wort ist: Wir müssen stärker denn je über die Konkurrenz von Regionen reden. Das können etwa Shanghai und Kopenhagen sein, das sind die neuen Konkurrenten. Damit weiß bislang kaum einer umzugehen, auch kein Politiker. Wir erleben eine massive Umbruchzeit. Vielleicht sogar eine, wie die Welt sie nur alle paar hundert, alle paar tausend Jahre erlebt: das geballte Zusammentreffen von Klimawandel, Bevölkerungsentwicklung, von neuen Wertgefügen, von Demokratie, die an ihre Grenzen stößt und dem Diktat der Finanzwirtschaft. Sich darum zu kümmern, was unsere Region in diesen Zeiten sein kann, heißt experimentieren - aber bitte mit Leitplanken!

Prof. Bernhard Butzin
Prof. Bernhard Butzin © WAZ FotoPool

Es gab ja mal die Bewegung für eine Ruhrstadt.

Das ist ein Versuch gewesen, eine Identität zu schaffen, aber von außen, wie eine Käseglocke, die übergestülpt wird. Da ist kein Wir-Gefühl. Das ist ein fehlgeleiteter und fehlleitender Gedanke.

Denkt, fühlt der Revierbürger regional?

Vor Jahren habe ich eine große Untersuchung geleitet über das Regionalbewusstsein im Ruhrgebiet. Da wir von der Uni Münster kamen, haben die Leute uns als erstes gezeigt, wie grün es hier ist. Ungefragt. Dann haben Sie uns, ebenfalls ohne dass wir gefragt hätten, gesagt: „Wir leben hier wie im Paradies“. Sie haben also das ganze Negativbild vorweggenommen. Und wenn wir nach unschönen Gegenden fragten, lagen die immer in der Nachbarstadt. Es kam vor allem heraus: Man fühlt sich etwa in Herne nicht als Herner, sondern als Sodinger oder Baukauer.

Wo bleibt da das Ruhrgebiet?

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Es ist da. Alle haben etwas sehr Ähnliches über ihr Verhältnis zum Ruhrgebiet gesagt: „Ich lebe gerne hier!“ Ruhrgebiet, darauf kann man spielen wie auf einer Klaviatur, vom tiefsten schwarzen Jazz in Duisburg bis zur Netrebko-Gala im Aalto. Diese Spannbreite haben wir auch im Einzelhandel, im Sport und anderen Sparten. Das ist eine Qualität. Es ist ein gewaltiger, vielseitiger Aktionsraum mit vielen liebenswerten kleinen Welten.

Wo müssen wir dann hin?

Wenn überhaupt, kann es nur eine „andere“ Metropole sein. Klimagerecht, vorausweisend in Sachen gesellschaftlicher Integration und neuer Energie. Das wären Visionen, darauf würde die Welt schauen. Wir müssen ein Kontrast zur Konkurrenz sein, die wir nie erreichen können. Unsere Metropole hat viele Zentren. Das ist eine potenzielle Stärke. Leider haben wir bis heute keinen Weg, diese Stärke auszunutzen. Zwischenstädtische Kommunikation gibt es kaum. Sie ist nicht gewollt, beonders angesichts leerer Kassen. Noch heute ist ja ein Stadtvater stolz darauf, wenn er seiner Nachbarstadt mit Tricks den neuen Lidl 200 Meter über die Ortsgrenze weggezogen hat.

Kann man Metropole sein, ohne einen Kern, ein Zentrum zu haben?

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Wir müssen realistisch sein: Zu einem solchen Konstrukt hat das Ruhrgebiet keine Chance. Man muss fragen: Ist der Weg zu einer Metropole Ruhr überhaupt gangbar. Wissen Sie: Metropolen-Diskussionen interessieren Experten. Aber nicht die Oma mit der Plastiktüte. Wirtschaftsführer möchten die Metropole Ruhr, Funktionäre, Politiker auch – zur Förderung des eigenen Images. Metropolendiskussionen sind gemacht von Experten für Experten.

Sie sehen unter diesem Aspekt auch Zollverein kritisch.

Zollverein ist ohne Zweifel ein wichtiges Wahrzeichen, touristisch gelungen, aber natürlich ein Werk der Expertokratie. Da haben sich Menschen aus Wirtschaft und Politik überlegt, womit sie überregional Strahlkraft erreichen. Sie haben ein möglichst lautes und weit strahlendes Signal gesetzt. Aber es bleibt eine gemachte, gewollte Situation. Der Leuchtturm leuchtet, aber wie jeder andere lässt er seine Umgebung im Dunkel. Über dieses Machertum kann man die Bevölkerung nicht mitnehmen. Man wirkt nach außen, aber nicht nach innen. Das ist schön für Unternehmer, für die japanische Architekturgruppe, aber sonst? Wir haben den Stadtteil mal kartiert – zwei, drei „Bed & Breakfast“ gibt es in Katernberg. Das ist alles, was für den Stadtteil herausgekommen ist! Punkt. Das ist traurig, denn das ist ja der Ort, „wo Oppa ma’ gearbeitet hat“. Für die Lokalbevölkerung hat man nichts geschaffen, außer zu teuren Capuccino.

Wir wagen zu widersprechen. Revierbürger sind doch ein wenig stolz auf die Zechen-Skyline, auf das Hüttenwerk Meiderich und Co.?

Am 15.02.2012 erläutert der Geologe und Städteforscher Prof. Bernhard Butzin den Begriff Metropole und stellt eine Beziehung zum Ruhrgebiet her. Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool
Am 15.02.2012 erläutert der Geologe und Städteforscher Prof. Bernhard Butzin den Begriff Metropole und stellt eine Beziehung zum Ruhrgebiet her. Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Sie sind es und das ist gut so und wichtig! Das sind Verdienste der Internationalen Bauaustellung um Karl Ganser. Wir müssen aber auch fragen, wann die Sehnsucht nach solchen Symbolen, diesen Eiffeltürmen sozusagen, so groß ist. Die habe ich auf Mallorca, wenn mich ein Engländer fragt: „Wo kommst du her?“ Da sagt man: „Herne, near Düsseldorf“ – und das ist natürlich für einen Revierbürger nicht schön.

Wie lange hätte die Kulturhauptstadt dauern müssen, um nachhaltig zu wirken?

Man hat ihr nicht die Chancen gelassen, die sie in sich birgt. Man hätte den längeren Atem gebraucht. Der Umgang mit der Ressource Zeit ist leider ungekonnt, Wirtschaft und Politik leben das vor. Das hat längst abgefärbt. Nachhaltigkeit ist ja schon fast vom Mode- zum Schimpfwort geworden, leider.

Sind Festivals deshalb so beliebt? Man brennt sie kurz ab und hat ein schönes Feuerwerk?

Ja, wir haben eine Festivalisierung der Stadtentwicklung. Überhaupt werden zunehmend kurze kleine Formate gesucht. Heute Kulturhauptstadt, morgen feiert der Initiativkreis plötzlich Bottrop. Das sind alles kleine,. handhabbare, aber kurzatmige Formate. Sie sind als Experimente durchaus sinnvoll, aber letztlich ist das eine Fahrt ohne Leitplanken. Von Bündelung der Kräfte keine Spur.

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l © WAZ FotoPool

Wie ändern wir das?

Mit Mut zum Anderssein und -werden. Das braucht Zeit. Die Marke, nach der man sucht, die muss „echt“ sein. Das Persil, das draufsteht, muss drin sein. Das Ruhrgebiet darf keine Inszenierung sein.

Es gibt aber durchaus Kreise, die an der Zukunft der Region laborieren.

Gut so! Würden die „Labore“ nur mit- statt gegeneinander arbeiten! Das Sich-Kümmern um die Zukunft des Ruhrgebietes ist selten uneigennützig. Natürlich findet sich immer ein Politiker oder Unternehmer, der sich einen Orden anheften will.

Sie haben die Welt bereist, von Megacities bis zur Wüste. Worauf freuen Sie sich, wenn Sie ins Ruhrgebiet kommen?

Auf eine Lebenswelt, in der ich mich zu Hause fühle, auf die normalen Menschen zwischen Theke und Fußballplatz, die stehen für Spaß und Freude. Auf die nicht-extravagante Landschaft, auf diese solidarischen Netzwerke, auf echte Menschen. Als Wissenschaftler aber auch auf eine der spannendsten Regionen der Welt.

Aber Sie leben nicht in einer Metropole.

Als Experte reizt es, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Aber ich persönlich brauche keine Metropole. Ich wohne in Oer-Erkenschwick.