Berlin. . Selbst namhafte Berlinale-Beiträge lassen in diesem Jahr Hoffnungen sterben. Die Filme von Billy Bob Thornton oder mit Isabell Huppert enttäuschten. Da lohnt sich die Flucht aus dem allzu ernsten Wettbewerb hinein ins Panorama. Da kann man dann auf den finnischen Film „Iron Sky“ treffen, in dem überlebende Nazis es sich seit 1945 auf der Rückseite des Mondes bequem gemacht haben.

Es gibt Menschen dieser Tage in Berlin, die noch richtig Lust auf die Berlinale haben. Die aufgeregten Erstklässler etwa, die in großer Anzahl morgens um halb neun vor dem Shuttlebus am Potsdamer Platz stehen, der sie zum Kinderfilmfest im Haus der Kulturen der Welt fahren wird. Abenteuer und Spaß erwarten sie und werden das gerade in dieser Sektion des Festivals wohl auch finden. Oder die Kinobesitzer in den Außenbezirken, vom „Toni“ in Weißensee bis zur „Passage“ in Neukölln, die seit dem letzten Jahr unter dem Titel „Berlinale Goes Kiez“ mit ausgewählten Highlights ins Festivalgeschehen eingebunden werden. Da brummt der Bär.

Wer allerdings mitten drin ist im Festivaltrubel, dem vergeht die Freude immer mehr, je weiter der Wettbewerb fortschreitet. Gestern zum Beispiel starb wieder eine Hoffnung in Gestalt von Billy Bob Thorntons Film „Jayne Mansfield’s Car“. Der schildert ein Familienzusammentreffen im Alabama des Jahres 1969 anlässlich einer Beerdigung. Zu Grabe getragen wird dabei die Ex-Ehefrau des bärbeißigen alten Jim (Robert Duvall), der ihr nie verziehen hat, dass sie ihn wegen eines Engländers (John Hurt) verlassen hat. Aus der Konfrontation von Südstaatlern und angereisten Briten will der Film Honig saugen, aber er tritt zwei Stunden einfach nur auf der Stelle. Was nicht an der Tatsache liegt, dass dies der erste englischsprachige Film eines russischen Produzenten ist, sondern eher am faden Drehbuch, dass schließlich LSD im Tee bemühen muss, um Leben in die Bude zu bringen.

In dem Schweizer Beitrag „Sister“ von Ursula Meier schaut man einem Zwölfjährigen die ganze Laufzeit über zu, wie er in einer Ski-Hochburg in den Alpen entlang der Pisten alles klaut, was im Sportbereich gut und teuer ist. Die Polizei scheint selbst dann nicht auf ihn aufmerksam zu werden, wenn er das Zeug am Straßenrand an Autofahrer verhökert. Schließlich muss ihm ja noch Zeit bleiben, seinen Konflikt mit der vermeintlichen Schwester auszutragen, die eigentlich seine ziemlich nichtsnutzige Mutter ist und von Frankreichs neuem Star Léa Seydoux gespielt wird.

Italienischer Dokumentarfilm „Cesare deve morire“

Die besseren Seiten des Wettbewerbprogramms entdeckt man beispielsweise in dem italienischen Dokumentarfilm „Cesare deve morire“ („Cäsar muss sterben“), einer erstaunlichen Leistung der greisen Regie-Brüder Paolo und Vittorio Taviani, beide inzwischen über 80. In ungemein kraftvollen schwarz-weißen Bildern schildern sie die Inszenierung von Shakespeares „Julius Cäsar“ im Hochsicherheitstrakt der römischen Strafanstalt Rebibbia. Mit großer Inbrunst knien sich die Akteure, allesamt Mörder oder Mafiosi, in diese Arbeit, die für sie wie ein Stück Freiheit ist. Intensiver hat man Shakespeare wohl noch kaum erlebt.

Auch der französischen Film „Á moi seule“ von Frédéric Videau überrascht positiv in seiner Darstellung eines Entführungsfalles, der sich über acht Jahre hinzieht. Mit acht wurde Gaelle von einem Mann entführt, der sie seitdem in einem Kellerverschlag eingesperrt, aber nie sexuell belästigt hat. Offenbar träumt er von einer echten Liebesbeziehung, was die Heranwachsende mehr und mehr für sich auszunutzen weiß. Die großartige Agathe Bonitzer lässt uns intensiv teilhaben sowohl an diesem Machtkampf als auch an ihrer Orientierungslosigkeit danach in Freiheit.

Überhaupt ist die Entführung stark vertreten im Wettbewerb. Der einst in Cannes entdeckte Philippino Brillante Mendoza zeigt in „Captive“ gleich ein Massen-Kidnapping: Muslimische Rebellen entführen da gleich zu Beginn eine ganze Gruppe von Ausländern, stellen Lösegeldforderungen und schleppen ihre Gefangenen danach 377 Tage quer durch den Dschungel. Natürlich zeigt der Film bei zwei Stunden Länge auch Entwicklungen, Todesangst ebenso wie Annäherungen. Wenn man aber in das mitgenommene Gesicht von Isabelle Huppert als französische Geisel blickt, dann verspürt man da weniger Tragik als vielmehr „Holt mich hier raus“-Dschungelcamp.

„Iron Sky“ - überlebende Nazis auf der Rückseite des Mondes

Manchmal lohnt sich die Flucht aus dem allzu ernsten Wettbewerb mitten hinein ins Panorama. Da kann man dann auf den finnischen Film „Iron Sky“ treffen, in dem überlebende Nazis es sich seit 1945 auf der Rückseite des Mondes bequem gemacht haben. Von dort planen sie 2018 einen „Meteorblitzkrieg“ gegen die ahnungslose Erde. Und man erkennt plötzlich, wie viel Spaß Kino machen kann, solange es Trash-Kunst wie diese gibt.