Berlin. .

Leserin Lilly D. aus Hemer hat sich auf das Berlinale-Telefonat sorgfältig vorbereitet. Und die vier Fragen, die sie sich extra notiert hat, treffen in ihrer ganzen Breite den Kern:

„1. Wie suchen Sie die Filme aus, die Sie sich anschauen?

2. Sind Sie schon einmal im Kino eingeschlafen?

3. Wie ernähren Sie sich eigentlich während der Festspiele?

4. Ist es anstrengend, von morgens bis abends Filme zu sehen?“

Also der Reihe nach. Erstens: Die Auswahl treffe ich anhand der 18 offiziellen Wettbewerbsbeiträge. Erscheint mir ein Film allzu nischenartig und ohne echte Chance, jemals im normalen Kinoprogramm zu landen, schaue ich in den anderen Festival-Sektionen (insgesamt 400 Filme), was sich etwa zeitgleich Interessantes anbietet. Natürlich sind die Entscheidungen ganz subjektiv, orientieren sich aber doch an der inzwischen 28-jährigen Erfahrung und dem hoffentlich richtigen Gespür, was unsere Leserinnen und Leser für spannend und unterhaltsam halten könnten.

Zweitens: Nein, ich bin noch nie im Kino eingeschlafen, manchmal aber schon vorab raus gegangen. Etwa wenn mich der Film allzu genervt hat - oder, was auch manchmal vorkommt, wenn er eine Gewaltschwelle überschreitet, die ich einfach nicht mehr ertragen will.

Caterer aus Attendorn

Drittens: Essen gehört während der Berlinale nicht zu den Schwerpunkten. Meistens eine Kleinigkeit im Stehen und zwischendurch. Ausnahme wird in den nächsten Tagen ein Besuch beim „Kulinarischen Kino“ sein. Da gibt es erst einen Film über Essen und Umwelt, und anschließend zaubert ein Sternekoch ein dreigängiges Menü, das durch den Film inspiriert sein soll. Der Caterer, der das alles mitorganisiert, heißt Oliver Rüsche und kommt aus Attendorn. Mit ihm habe ich mich verabredet, und ich bin schon sehr neugierig auf den Abend.

Viertens: Die Berlinale ist ein tolles Erlebnis, aber auch anstrengend. Alle Film werden in ihrer Originalsprache mit englischen Untertiteln gezeigt; immer zugleich schauen, lesen und übersetzen – das geht ganz schön auf die Kopf-Kondition.

In diesem Sinne sind natürlich deutsche Film eine regelrechte Entspannungsübung. Wenngleich man sich immer wieder dabei ertappt, ganz automatisch die englischen Untertitel mitzulesen, obgleich ja alles ganz verständlich klingt. Einer der viel beachteten deutschen Wettbewerbsbeiträge ist „Barbara“ von Regisseur Christian Petzold, der 2007 den Silbernen Bären für seinen Beitrag „Yella“ bekommen hat. Damals wie heute spielt die betörend gute Schauspielerin Nina Hoss die Hauptrolle.

Damals bekam sie schon den deutschen Filmpreis, und es spricht einiges dafür, dass sie auch mit „Barbara“ die ein oder andere Auszeichnung erhalten wird. Die Geschichte handelt von einer Krankenhausärztin in der DDR, die von der Stasi observiert und schikaniert wird, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. Doch Barbara will nicht so lange warten und plant die Republikflucht. Ihr Verantwortungsbewusstsein im Beruf und ein neuer Kollege lassen sie jedoch mehr und mehr an ihrer Absicht zweifeln.

Christian Petzold zeigt den DDR-Apparat in all seiner abstoßenden Unmenschlichkeit. Er zeigt aber auch, dass es jenseits von politischer Willkür eine zweite Lebensebene gab, in der persönlicher Mut, Pflichtgefühl und nicht zuletzt auch die Liebe eine tragende Rolle spielten. Nina Hoss verkörpert die verzweifelt gespaltene Barbara mit höchster Intensität und fernab schablonenhafter Vorurteile.

Mit einer besonderen Form von Vorurteilen müssen sich auch die beiden italienischen Regie-Brüder Paolo und Vittorio Taviani auseinandersetzen. Sie haben das Shakespeare-Stück „Julius Cäsar“ in einem Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher inszeniert. Alle Darsteller waren echte Gefangene, darunter Mörder und Mafia-Mitglieder.

Der Film „Cäsar muss sterben“ trägt den alten Dramenstoff in unsere Zeit. „Shakespeare muss immer wieder neu entdeckt werden, und ich bin mir sicher, diese Variante hätte ihm wirklich gefallen“, meint Paolo Taviani nach der viel beklatschten Premiere. Nirgendwo sonst hätte er derart ehrliche Emotionen erlebt wie unter den Gefangenen, die mit wahrem Herzblut ihre jeweiligen Rollen von Tätern und Opfern, von Intriganten und Verrätern in der direkten Parallele zur persönlichen Biografie interpretiert hätten: „Sie haben ihre eigene Wirklichkeit, ihr eigenes Leben im Shakespeare-Spiel gespiegelt. Das kann kein gelernter Schauspieler so authentisch wie sie.“

Einer der Darsteller ist auch Gast der Berlinale. Nach verbüßter achtjähriger Freiheitsstrafe ist Salvatore Striano jetzt auch außerhalb des Gefängnisses zum Schauspieler geworden. Im Knast hat er den Brutus gespielt, und in Berlin sagt er: „Das war das Beste, was mir jemals in meinem Leben passiert ist.“