Köln. . Er gilt als einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Künstler der Welt. Bei Auktionen erzielen seine Werke heute Rekordpreise. „Albern“ findet es der Kölner Super- und Sammlerstar Gerhard Richter, dass eines seiner Bilder für zwölf Millionen Euro versteigert worden ist. Am Donnerstag wird er 80 Jahre alt.

Als die New York Times Gerhard Richter vor zehn Jahren zum 70. Geburtstag ein Porträt widmete, überschrieb sie den Artikel mit „The Enigma“, das Rätsel. Richter gilt als Sphinx unter den zeitgenössischen Malerstars. Die größte Kunst seiner inzwischen über 50 Jahre währenden Karriere liegt vielleicht darin, immer noch undurchschaubar zu sein und dabei doch so porentief normal und grundbürgerlich, dass mancher sich nach einer Begegnung mit einem der derzeit teuersten und erfolgreichsten Künstler der Welt an seinen Rechtsanwalt oder Steuerberater erinnert fühlt.

Wenn Richter heute 80 Jahre alt wird, glaubt man ihm aufs Wort, dass er im engsten Familienkreis feiert. Der streng dreinblickende Grauschopf als Partylöwe, als Vernissagen- und VIP-Darling – undenkbar. Lange hat er im grauen Kittel gemalt, wie damals in der Lehre in Dresden. Heute steht er fast geschäftsmäßig in Hose und Oberhemd im Atelier, wie man zuletzt in Corinna Belz’ Richter-Film sehen konnte. Diesen scheuen Lakoniker vor die Kamera zu bekommen, schon das galt als Sensation. Richter mag keine Interviews. Und wenn sich die Worte wie seine Bilder mit grauer Farbe übermalen ließen, hätten sich die Sätze wie kleine Betonrinnsale auf die Tonspur dieses Films gelegt. Dass er so ungern über seine Arbeit spricht, erklärt er so: Der Maler denke beim Malen nicht, weil Malen selbst eine Form des Denkens sei.

Der stille Meister aller Gen­res

Richter weiß, dass jede Art von Erklärung Festlegung bedeutet. Und Festlegung ist ihm ein Gräuel, wie Ideologie. Er ist der stille Meister aller Gen­res, der die Streit-Frage „abstrakt oder gegenständlich?“ mit einem entschiedenem Sowohlalsauch beantwortet. Zu seinem enormen Werk gehören Landschaften und Stillleben wie die Wolken - und Familienbilder, der RAF-Zyklus und abstrakte Farbflächen.

Das Verhältnis von Abstrakt zu Gegenständlich steht 3 zu 1. Das Interesse konzentriert sich aber auf die vermeintlich erzählerischen, gegenständlichen Bilder, unter deren Schlieren man zumindest ein bisschen von der Person Richter herauslesen möchte.

Da ist die berühmte Rückenansicht seiner ältesten Tochter Betty. Onkel Rudi in Wehrmachtsuniform, Tante Marianne, ein Opfer der Euthanasie. Oder die fast überirdisch leuchtende „Ema“ auf der Treppe. Der lebensgroße, naturalistische Akt seiner damaligen Frau Marianne gilt 1966 als geradezu reaktionär.

Malen ist Schwerarbeit

Als Richter 1961 aus Dresden in den Westen flüchtet, stößt er gleich auf neue Mauern – des Denkens. Alle Bilder scheinen gemalt, das Ende der Malerei längst ausgerufen. Was also malen? Wie malen, ohne das alte Heldengehabe, den verhassten Geniegestus? Richter, der mit Sigmar Polke und Konrad Lueg an der Düsseldorfer Kunstakademie den „kapitalischen Realismus“ ausruft, greift auf banale Zeitschriften-Motive zurück. Fo­tos von Autos, Klorollen, Sekretärinnen. Er malt sie ab, mit den leicht verwischten Konturen, heute nicht mehr wegzudenken aus der Nachkriegskunst. Unschärfe dient bei ihm zur Schärfung des Wahrnehmens.

Heute erledigt er die Arbeit mit einer Rakel, einer Art bemaltem Riesenspachtel, die er über die Leinwand zieht, bis die Farben in diesem fast mechanischen Vorgang ihre Bestimmung finden. Wer Richter dabei beobachtet, weiß, dass Kunst Schwerarbeit sein kann. Und doch steht der drahtige 80-Jährige täglich im Atelier in Köln-Hahnwald, wo das Klischee vom kreativen Chaos so penibel zerstört wird wie das vom Bohemien. Morgens rühren seine Assistenten die Farbe an, bis sie nicht mehr klumpt. Die Sekretärin kümmert sich um die Organisation des Malerimperiums. Ab und an schaut seine dritte Frau Sabine vorbei, selbst Malerin, mit der er drei jüngere Kinder hat. Dann steht man gemeinsam vor dem Bild und fragt sich, „ob das auch hält“. Der Zweifel gehört zur Größe wie die ständige Reflexion.

Zwölf Millionen für ein Richter-Bild? „Absurd“, findet der Künstler selbst

„Atlas“ in Dresden

Die Neue Nationalgalerie in Berlin zeigt vom 12. Februar bis 13. Mai die Richter-Ausstellung „Panorama“ mit 140 Werken. Der Stammheim-Zyklus ist parallel in der Alten Nationalgalerie zu sehen. In Dresden versammelt die Kunsthalle im Lipsiusbau bis zum 22. April unter dem Titel „Atlas“ mehr als 15 000 Fotografien, Skizzen, Entwürfe.

In Richters Heimatstadt Dresden und in Berlin wundern sich die Museumsleute über die Kollegen aus NRW, die dem Großkünstler Richter keine Geburtstags-Schau ausgerichtet haben. Begegnen kann man ihm trotzdem. Im Essener Museum Folkwang sieht man Richters Wolkenbild. Den Kölner Dom ziert seit 2006 das Richter-Fenster, das Kardinal Meisner wegen seiner starken Farbigkeit kritisierte. Und spätestens bei der nächsten Art Cologne wird Richter seinem Ruf als sicherste Kapitalanlage der Kunst alle Ehre machen. Als das Gemälde einer brennenden Kerze im Oktober 2011 für zwölf Millionen Euro versteigert wurde, kam der kritischste Kommentar dabei vom Künstler: „Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise – unverständlich, albern, unangenehm.“

Eben machte die Schlagzeile die Runde, Richter habe in den 60ern mehrere frühe Werke zerstört. Gesamtschaden: Hunderte Millionen Euro. So eine Debatte hält er für Humbug. Das Zerstören gehört für Richter zum Handwerk wie das Erschaffen. Nur so kann immer wieder Neues entstehen. Und Richter ist erst 80.