Bochum. . Anja Niedringhaus ist eine der wenigen Fotografinnen an den Fronten dieser Welt: In Bochum sieht man nun ihre Bilder.

Kriegsfotografin? Diese Berufsbezeichnung käme Anja Niedringhaus nie über die Lippen. Sie nennt sich Zeitzeugin. Was sie bezeugt, sind meist die Schreckensseiten unserer Zeit: Angst und Sterben, Trauer und Schrecken. Die 46-jährige Fotografin geht dahin, wo Journalismus immer noch ein Geschäft auf Leben und Tod ist: Afghanistan, Irak, Jugoslawien, Libyen, Syrien. Seit 20 Jahren ist Niedringhaus für Agenturen wie Associated Press eine der wenigen Frau an der Front. Die Kunstsammlungen der Ruhr-Uni Bochum, Situation Kunst, widmen ihr nun eine sehenswerte, herz- und hirnbewegende Fotoschau.

Anja Niedringhaus will, dass wir hinsehen. Will Leid und Gewalt zeigen, aber auch Hoffnung, Überlebenswillen, Mut. Ihre Fotografien sind weniger blut- und bleihaltige Schlachtenbilder als Momente des Innehaltens, Aufnahmen gegen das Abstumpfen. „Mich interessiert das, was nach dem Bangbang passiert, was dazwischen.“

Niedringhaus hat den Tragödien unserer Zeit Gesichter gegeben. Sie zeigt uns die vereisten Augen eines Soldaten, der den Iraker wie einen Karnickel im Nacken packt. Sie zeigt uns den weinenden Marine, der vor den Stiefeln seiner gefallenen Kameraden kauert. Sie zeigt uns den zerfetzten Schädel von Burness Britt. Im Helikopter, der Britt nach einer Bombenexplosion in Afghanistan ausfliegt, hält sie mit der Linken seine Hand. Mit der Rechten macht sie Fotos. Doch es dauert Monate, bis die Öffentlichkeit seine Geschichte erfährt: „Ohne Freigabe keine Veröffentlichung“, so das Agentur-Gebot. Niedringhaus sucht nach Britt, nicht nur der Fotos wegen. Über Facebook findet sie ihn dann, fliegt nach Richmond, wo ihm die Ärzte eine Titanplatte in den Kopf gepflanzt haben. Mit ihren Fotos setzt sie ihm ein Stück Vergangenheit zusammen.

Anja Niedrighaus in den Ausstellungsräumen von „Situation Kunst“ in Bochum. Foto: Marcus Simaitis
Anja Niedrighaus in den Ausstellungsräumen von „Situation Kunst“ in Bochum. Foto: Marcus Simaitis © WAZ FotoPool

Die sympathische Frau mit den dunklen Augen und dem sportlichen Outfit erzählt solche Geschichten ohne Pathos und Tremolo. Sie erzählt, wie sie fotografiert. Mitfühlend, aber nicht sentimental. Sensibel, aber pragmatisch. In Falludscha ist sie in der ersten Angriffs-Welle dabei, nachdem sie es mit den Soldaten zwei Wochen belagert hat. Die Zentrale in New York stellt ihr den Einsatz frei. „Aber was hätte ich machen sollen“, zuckt Niedringhaus die Schultern, „ich konnte ja nicht warten und mir ein Taxi bestellen!“ Zuvor macht sie noch ein Foto. Zeigt Soldaten als Gladiatoren verkleidet, wie in der Kulisse von Ben Hur. Für einen von ihnen ist es das letzte Bild mit zwei Beinen.

Von Wunden und Schrunden der 46-jährigen Pulitzer-Preisträgerin erfährt man wenig. Ein paar Granatsplitter im Körper erinnern sie an die stete Gefahr. Mit der Angst kann sie umgehen, „ich werde nicht hysterisch“. Das ist wichtig zwischen der Anspannung, dem Dreck und der Kälte, wo das Kunstwollen keinen Platz hat. Niedringhaus nennt sich „Handwerkerin“. Das Fotografieren hat sie nie richtig gelernt. Sie, in Höxter geboren, ist reingerutscht, als sie sich ihr Studium als Freie in einer Lokalredaktion finanzierte und feststellte, dass sie mit der Kamera besser erzählen kann.

Weibliche Handschrift? Davon will sie nichts hören: „Man wird zum Neutrum. Manchmal seh ich da eine Frau und denke: Was macht die denn hier?“ Im Sport seien fotografierende Frauen noch seltener anzutreffen. Sport ist auch ihr Job. Wie der Krieg. 2012 ist viel los, Europameisterschaft, Olympia. Sie lächelt leise. „Ich bin ganz froh, wenn der Sommer vorüber ist.“