Essen. . ,The Descendants’: George Clooney spielt zur Abwechslung mal einen betrogenen Mann, ratlosen Vater und traurigen Unglücksraben, und das absolut oscarreif.

Das Paradies liegt hier schon längst nicht mehr nebenan. Aus dem Büro von Matt King (George Clooney) sieht man vielmehr, was aus dem Sehnsuchtsort Hawaii geworden ist. Eine Ansammlung von Bürotürmen und Bettenburgen. Ein Ort, an dem man noch mit Shorts und Hawaiihemd ins Büro schlendert, aber die Leichtigkeit längst abgelegt hat. „Das Paradies kann mich mal“, sagt Matt gleich zu Beginn.

Matt ist ein reicher Nachkomme, ein „Descendant“ einer hawaiianischen Prinzessin und eines weißen Bankiers. Einer, der diese üppig wuchernde Trauminsel schon kleinkriegen könnte, wenn er wollte. Mit Kaufverträgen, Baubeschlüssen. Als Anwalt eines mächtigen Familientrusts ist er dabei, eine der letzten unberührten Buchten von Kauai zu verscherbeln. Dann fällt seine Frau ins Koma. Und Regisseur Alexander Payne macht aus dieser existenziellen Krise eines der berührendsten und wahrhaftigsten Familiendramen seit langem.

„The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten“ ist auch ein Anti-Clooney-Film und wird dem 50-Jährigen wohl gerade deshalb den verdienten Oscar bringen. Weil die Rolle des Matt weit entfernt ist von den zwinkernden, ironiegestählten Gewinner-Figuren, die Clooney sonst verkörpert. Und weil man ihm diesen Ge­gensatz aus schicksalsgebeuteltem Unglücksraben und Superstar-Aura problemlos abnimmt.

Es gibt einen Moment in diesem Film, in dem Clooney mit Verve zeigt, dass all die smarten Präsidentschafts-Kandidaten, die toughen Anzug-Träger und coolen Casinodiebe nur ein Teil seiner Schauspieler-Persönlichkeit sind: Seine Frau liegt nach einem Boots-Unfall im Koma. Sein Schwiegervater macht ihm bittere Vorwürfe. Für seine kleine Tochter Scottie ist er nur die Erziehungs-„Reserve“. Und die aufmüpfige Alexandra (großartig sperrig: Shailene Woodley) offenbart ihm, dass seine Frau ihn vor dem Unfall über Monate betrogen hat. Es ist der Moment, in dem Matt entgeistert auf die Straße läuft und zu Freunden rennt, um eine Erklärung zu bekommen. Selbst die Trauminsel Hawaii wirkt da so zerzaust und unbehaust wie Matt. Da ist kein Abstand, keine Ironie, nur dieser schmale Grat zwischen bodenloser Verzweiflung und skurrilem Aufbäumen, die Paynes tragikomischer Film so bravourös in der Schwebe hält.

Wie schon in seinem hochgelobten, komisch-kauzigen Männerweintrip „Sideways“ beweist Payne auch hier ein Gespür für leise Zwischentöne, feine Seelenrisse und die Nöte von Männern am Rande des späten Erwachsenwerdens. Und empfiehlt sich einmal mehr als Spezialist für eher untypische Oscar-Anwärter, weil seine Filme so subtil ohne Aus­rufezeichen daherkommen, auch wenn es um die großen Dinge geht: Heimat und Familie, Treue und Trauer und die Momente, in denen die materiellen Werte nichts mehr bedeuten gegenüber dem, was wirklich zählt.

Bagger und Banker

Aber Payne erzählt nicht einfach die Tragödie eines reichen Mannes, der viel zu spät merkt, was er verloren hat und der sich nun wie ein Kindskopf auf die detektivische Suche macht, nach dem Liebhaber seiner Frau und den Verwerfungen, die seine heile Welt aus den Fugen gebracht haben. Kings Krise ist wie das Schicksal der Insel, dem von Baggerschaufeln und Banker­träumen bedrohten Restidyll. Für eine Umkehr, lehrt uns Payne, ist es nie zu spät. Das gilt selbst für Inselkönige.