Brühl.. Sie gilt als die Mutter aller Kunstrundungen: Niki de Saint Phalle. Dass die Künstlerin mit dem Faible für ausladende Frauenformen nicht nur die berühmten „Nanas“ geschaffen hat, zeigt nun eine Retrospektive im Max Ernst Museum in Brühl.
Therapeutisches Malen sieht anders aus. Therapeutisches Malen ist in unserer Vorstellung dunkel und bedrückend und hat wenig zu tun mit den schenkelbreiten, busenrunden und sinnendrallen Figuren, mit denen wir Niki de Saint Phalle heute verbinden.
Doch gäbe es ohne die Schwärze im Leben der 1930 in Frankreich geborenen „Nana“-Erfinderin wohl nicht die Farbenfreude, die Fantastik und ausufernde Formenlust, die uns im Max Ernst Museum Brühl nun in großer Vielfalt begegnet. Rund 85 Arbeiten verfolgen die Entwicklung von den autodidaktischen Anfängen bis zum Weltstar mit Traumata – „Spiel mit mir!“
Womöglich wäre Niki de Saint Phalle eine fabelhafte Schauspielerin geworden, das hat sie studiert. Vielleicht hätten wir sie als schönes Gesicht der Mode-Magazine in Erinnerung, die sie in jungen Jahren zierte. Der künstlerische Durchbruch aber war ausgerechnet der nervliche Zusammenbruch. Vom Vater mit elf vergewaltigt, kam die Tochter einer französischen Adelsfamilie mit 23 Jahren in Therapie. Von da an schuf sie vieles, was nicht Nana war. Und das zeigt das Museum Brühl nun in schöner Auswahl: Gemälde, Assemblagen, Graphik und eines ihrer berühmten Schießbilder, mit denen Niki de Saint Phalle in den 60ern eine sehr feministische Art von Action Painting erfand.
Nachdem sie die Oberhemden ihrer aktuellen oder abgelegten Liebhaber zunächst mit Dartpfeilen und Nägeln bearbeitet hatte, schoss sie später mit dem Luftgewehr auf Farbbeutel, die sich wie blutige Wunden auf die Leinwand legten. Diese ausgelebten Aggressionen im Gewand der abstrakten Kunst machen die Französin berühmt – und berüchtigt. Nach zwei Jahren ist sie „fast süchtig“ nach diesem Ritual und sattelt um. Vom Zerstören verhasster Männerbilder zum Urbild der Frau.
In der Ausstellung verfolgt man diese Wandlung mit der wollweichen „Nathalie“ (1965). Es ist ein noch kleiner Vorgeschmack auf die Mega-Nanas, diese Riesen-Venusgebilde, die sich vor dem Pariser Centre Pompidou, am Hannoveraner Sprengel Museum und auf der Duisburger Einkaufsmeile mit ihrer quietschbunten Kunststoffhaut heute fast selbstverständlich ins Stadtbild eingefügt haben. Am Ende hat die 2002 verstorbene Niki de Saint Phalle der weiblichen Fülle mit soviel Polyester gehuldigt, dass es ihre eigene Gesundheit ruiniert hat.
Spielzeug-Collagen
Einer bestimmten „Schule“ hat sie nie angehört, auch wenn die Surrealisten Einfluss hatten und Jackson Pollock sich in die Wahrnehmung der langjährigen Tinguely-Lebenspartnerin getröpfelt haben muss. Niki de Saint Phalle aber war Autodidaktin, und als sie die Sache mit der Perspektive richtig lernen wollte, da hat man ihr die Perfektion rasch wieder ausgetrieben. Ihre Markenzeichen war eben das Naive, Verspielte. Für Collagen wie „Monkey“ plünderte sie sogar das Kinderzimmer ihrer Tochter Laura, pappte Äffchen, Plastikschaufeln, Knöpfe und Spielzeugautos auf die Leinwand. Schon die frühen Gemälde aus den 50ern sind phantastische Gebilde aus grellen Erinnerungsfetzen und dunklen Kinderträumen. Die drallen Damen wirken dagegen fast reduziert.
Vielen waren Saint Phalles Nanas trotzdem lange suspekt: zu direkt, zu farbig, zu fröhlich, zu konsumierbar. Das sie irgendwann Ware für den Museumsshop wurden, hat nicht nur die Künstlerin bekümmert. Ihr Werk sei auf eine einzige Figur reduziert, hat Niki de Saint Phalle mal beklagt. Aber als Mutter aller Rundungen, Feindin des Anämischen, Kämpferin gegen das Farb- und Formlosen wird sie ewig in Erinnerung bleiben. Und womöglich hat ihre Kunst nach manchem Diät-Debakel sogar therapeutisch gewirkt.