Essen. . Der Geburtsort Jesu beschäftigt immer noch die Wissenschaft. Die Mehrheit der Forscher glaubt heute, dass Jesus in Nazareth zur Welt kam - der Bochumer Theologie-Professor Thomas Söding ist aber von der judäischen Stadt Bethlehem überzeugt
In wenigen Stunden, an Heiligabend, im Gottesdienst oder zu Hause unter dem Tannenbaum, werden es wie schon seit Generationen die Christen mit warmem, von zarten Kindheitserinnerungen beseelten Herzen singen: „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein…“ Und sie werden vielleicht neben dem Altar in der Kirche auf eine einfache Krippe blicken, ausgelegt mit Tüchern und einer Puppe darin. Es ist eine Krippe, die an jenen Stall erinnern soll, in dem Jesus vor gut 2000 Jahren geboren wurde.
Jedenfalls erzählt der Evangelist Lukas in seiner Weihnachtsgeschichte davon. „So zog auch Josef von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. (…) Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ Auch bei Matthäus schickt König Herodes, der dem Kind nicht wohl gesonnen war, die Sterndeuter aus dem Osten nach Bethlehem. Sie wollen dem neugeborenen König der Juden huldigen. Aber wie war das – wurde Jesus tatsächlich in Bethlehem geboren? Oder stammt er aus Nazareth, wie es Markus im ältesten der vier Evangelien nahelegt?
Die Stadt Davids
Der Geburtsort Jesu ist für Christen hoch emotional besetzt, aber in der Wissenschaft umstritten. Für beide Orte gibt es Argumente. Und doch: Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Ruhruniversität Bochum, ist überzeugt, dass alle, die heute „Zu Bethlehem geboren“ singen, auch den Kern des Weihnachtsgeschehens treffen. „Ich halte Bethlehem als Geburtsort historisch für nicht unwahrscheinlich und theologisch für hoch bedeutsam.“
Was dafür spricht? „Eine uralte jüdische Geschichte.“ Bethlehem sei innerhalb des Judentums ein extrem wichtiger Ort gewesen, erläutert der Wissenschaftler. „Es war ,der’ Identifizierungs-Ort für den erwarteten Messias, es war die Stadt Davids.“ David stammt aus Bethlehem, dort habe Samuel ihn zum König gesalbt. „Es gibt einen zentralen Punkt, an dem sich das Judentum festhält: Das ist die Ankündigung, David werde einen Sohn bekommen.“
Dessen Geburt wird im Alten Testament angekündigt. „Aber du Bethlehem-Efrat, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll.“ Kurz vor der Zeitenwende, also um die Zeit Jesu Geburt, als die Römer über Judäa herrschten, sei die Ankündigung des Messias für die Juden plötzlich wieder interessant geworden. Maria, die Mutter Jesu, ihre Cousine Elisabeth, Josef, Marias Verlobter, fromme Juden, sie alle hätten diese Vorstellung geteilt. „Und daran knüpft das Neue Testament an“, erläutert der Theologie-Professor. Aber der erwartete Messias kommt nicht als König eines Gottesstaates. Er kommt im Kleinen, in Bethlehem in einer Krippe. „Bethlehem hat also theologisch einen tiefen Sinn. Das Neue Testament stellt sich damit in diese uralte judenchristliche Tradition.“
Historisch nachweisbar jedoch sei das alles nicht. Im Gegenteil, sagt Söding. Die starke theologische Deutung wecke eher den Verdacht des Historikers. Und die Mehrheit der Wissenschaftler glaube an Nazareth. Gegen Bethlehem spräche ihrer Meinung nach, dass nur die Evangelisten Matthäus und Lukas den Ort nennen. Bei Markus komme Bethlehem gar nicht vor. Er spricht nur von „Jesus von Nazareth“.
Jüdische Tradition
Die Weihnachtsgeschichte – eine Legende? Nicht für den Neutestamentler Söding. Er hält die Gegen-Argumente nicht für überzeugend. Der Namenszusatz „Jesus von Nazareth“ etwa bezeichne die Herkunft, nicht den Geburtsort, hält er Kritikern entgegen. Für ihn bleibt die judenchristliche Überlieferung das stärkste, das ausschlaggebende Argument. „Die Bethlehem-Geschichte zeigt die Verwurzelung Jesu im Judentum. Sie verknüpft die alte Heilsgeschichte mit der neuen Jesus-Geschichte, das Alte mit dem Neuen Testament.“ Das alte Lied „Zu Bethlehem geboren“ erzählt also nicht nur vom Weihnachtsgeschehen, von einer der berühmtesten Geburten der Menschheitsgeschichte, es erzählt auch von jüdisch-christlicher Tradition.