Oberhausen. . Ihre Texte sind so wuchtig wie streitbar, dennoch ist Elfriede Jelinek auf deutschen Bühnen ein gern gesehener Gast. Jetzt hatte ihre „Winterreise“ in Oberhausen Premiere.

Die Textflächen einer Elfriede Jelinek zu durchforsten, ist auch für erfahrene Theatermacher ein Kraftakt. Oberhausens Intendant Peter Carp jedenfalls, der uns letzte Woche noch mit „Virginia Woolf“ überraschte, zeigt nun mit seiner Einrichtung von Jelineks „Winterreise“, dass er ein Gespür dafür hat, die kunstvoll gedrechselten Texte der Nobelpreisträgerin zu arrangieren.

Kaspar Zwimpfers Bühne vor grau-tristem Alpenpanorama lässt eher einen Komödien-, wenn nicht Musikantenstadl erwarten. Eine etwas heruntergekommene Berghütte, deren Wirtin (Elisabeth Kopp) dank ihrer Haartolle eindeutig als Jelinek selbst zu identifizieren ist, wartet auf angekündigte Gäste. Die tauchen denn alsbald auch auf und haben neben dem Trinken auch eine Hochzeit im Sinn. Die schön hergerichtete junge Braut (Angela Falkenhan) mit Namen Hypo Alpe Adria soll hier unter die Haube gebracht werden, der Gatte allerdings findet in der Hochzeitsnacht unterm Schleier nichts vor.

So macht Jelinek sich über die Bankenkrise her, und Carp weiß ihre Anspielungen in sinnliche Bilder umzusetzen. Wie es überhaupt eine treffliche Idee scheint, den hochkünstlerischen Text mit einer Szenerie zu paaren, in der man normalerweise Volkstheater der krachledernen Art erwartet. Stattdessen verströmt sich hier jedoch ein Wort-Reigen, den die Autorin in Stimmung und Form an Schuberts melancholischen Lieder-Zyklus angelegt hat. Da kommt dann auch irgendwann das Thema der Langzeit-Entführten Natascha Kampusch zur Sprache, deren Schicksal beim Durchschnittsösterreicher offenbar wenig Mitgefühl erregen kann. Wenn sie hier mit der Boulevardzeitung am Biertisch hocken, über das Opfer herziehen und ihr eigenes Schicksal viel wichtiger nehmen, wird das Rattige im Kleinbürger ganz wunderbar deutlich.

Wie stark die Autorin auch Autobiographisches einstreut, zeigt Anja Schweitzer als junge Jelinek – in einem langen Monolog, der die Abrechnung mit der Mutter ebenso beinhaltet wie die Erfahrungen im Kontaktmarkt des Internet. Carp versucht dabei so etwas wie einen zarten Jelinek-Rap zu kreieren, die Schauspielerin meistert die Musikalität des Ganzen souverän.

Schließlich drängt ein alter Mann (Hartmut Stanke) in den Vordergrund, unzweifelhaft Jelineks an Alzheimer erkrankter, ins Heim abgeschobener Vater Friedrich. Der bricht nun auf zu einer langen, nur noch wenig koordinierten Suada, vor allem gegen die eigene Familie. Wie großartig Stanke das macht, mal gebrochen, mal sich aufbäumend gegen die Leere im Schädel, das ist auch Ausdruck einer verzweifelten Heimatlosigkeit, wie sie in Schuberts Liedern zum Ausdruck kommt.

Auch für die nimmt Carp sich Zeit: Gegen die lärmende Party-Hütten-Musik erklingt in stillen Intermezzi Dietrich Fischer-Dieskaus Stimme. So begeistert war das Publikum lange nicht in Oberhausen.

Termine: 2. Dez.; 8., 27. Jan. Karten: 0208 / 8578-184.