Bielefeld/Siegen.

Am kommenden Mittwoch wählt die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen einen neuen Präses. Mit Annette Kurschus (48) und Angelika Weigt-Blätgen (56) gibt es erstmals zwei Frauen als Kandidatinnen. Wir stellen die beiden Theologinnen in unserer heutigen und in der morgigen Ausgabe vor.

Der erste Eindruck bei der persönlichen Begegnung ist verblüffend: Jung, fröhlich jung, sieht die Siegener Superintendentin Annette Kurschus aus. Sie lacht gern, spricht viel über Musik, über Literatur und über die Kunst. Aber hinter der ansteckenden und zupackenden Lebensfreude schimmert auch sehr schnell das Ernsthafte, das Verantwortliche und Verbindliche durch. Da wird erkennbar, dass die Theologin bereits seit sechs Jahren als Superintendentin in Siegen einen der größten westfälischen Kirchenkreise leitet.

Annette Kurschus gilt dabei nicht nur als kompetente Chefin, sondern stets auch als einfühlsame Seelsorgerin. Darauf legt sie besonderen Wert, und das würde sie auch als Präses unbedingt beibehalten wollen. In einem Interview hat Annette Kurschus dies kürzlich so ausgedrückt: „Frauen hören besser zu, sie wollen die anderen zunächst verstehen, bevor sie entscheiden. Frauen haben meistens mehrere Ebenen im Blick. Die sachliche, die emotionale, die strategische. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Leitungsstil.“
Verstehen, leiten, entscheiden. Dieser Dreisprung gewinnt vor dem theologischen Hintergrund eine weitere, eine fundamentale Dimension, sozusagen. Diese wird vor allem dann deutlich, wenn die Superintendentin predigt. Mit rhetorischem Talent, akademischer Tiefe und einer Frömmigkeit, die nichts Angestaubtes, Rückwärtsgewandtes oder Versponnenes hat.

Bei einer Predigt über das Gotteslob unter dem Titel „Gotteslob und Weltverantwortung der Kirche“ im vergangenen Monat in Bielefeld klang das dann beispielsweise so: „Wofür eigentlich sollen wir Gott loben? Im Blick auf manches Elend in der Welt und in unserem eigenen Lebensumfeld hätten wir beste Gründe, das Lob Gottes als zynische Lebensäußerung zu verweigern. Aber: Wir würden uns damit die Quelle abschneiden, aus der sich unser christlicher Glaube nährt.“ Und weiter: „Die Welt, in der wir leben, kommt ohne christliches Gotteslob nicht aus. Die Gesellschaft braucht uns als Kirche. Es ist offensichtlich: Sie braucht unsere diakonischen Dienste, sie braucht unsere sozialen Einrichtungen, sie ist auf unsere ethischen Kompetenzen angewiesen.“

Diese Worte klingen nicht anmaßend und selbstgefällig, sondern lediglich selbstbewusst und überzeugt. Annette Kurschus fühlt sich durch den Glauben in ihrem Handeln im besten Sinne befreit, und er ermächtigt, ja, er beauftragt sie geradezu, eine „tätige Verantwortung für die Welt“ zu übernehmen“.

Die unverheiratete Theologin stammt selbst aus einer Pfarrerfamilie. Der heute 80-jährige Vater ist natürlich stolz auf seine Tochter, die Karriere in den eigenen pastoralen Fußspuren macht. „Und das aus unserem Stall“, hat er auch gleich spontan ausgerufen, als er von der Präses-Nominierung hörte.

Sollte Annette Kurschus am Mittwoch tatsächlich in das höchste evangelische Kirchenamt von Westfalen gewählt werden, kündigte sie an, „durch meine Persönlichkeit Akzente setzen und die Glaubensvermittlung mit den großen Fragen unserer Zeit verbinden“ zu wollen.

Annette Kurschus in Stichworten: „Die Vielfalt der Schöpfung achten, schützen und fördern. Dem Klimawandel entgegenwirken. Kritisch umgehen mit irreversiblen Technologien wie Atomkraft und Gentechnologie, die aus dem Ruder laufen und unter der Hand Herrschergewalt gewinnen. Sich nicht abfinden mit jeglicher Form von sozialer Ungerechtigkeit. Einschreiten gegen alle Arten von Gewalt gegenüber den Schwächeren. Die Familie unter stark veränderten Bedingungen neu verstehen, schützen, fördern und stärken.“

Die ambitionierte Superintendentin formuliert all dies als evangelische Christin, die sich in ihrer Kirche gut aufgehoben weiß: „Die Vielfalt ist unser großes Potenzial. Wir machen zwar vieles, was andere auch machen. Aber wir tun es eben aus einem anderen Grund und mit einer anderen Verheißung.“