Essen. Tori Amos hat keine Fans, sie hat Jünger. Die Star-Pianistin aus den USA begeisterte ihre Anhänger am Montagabend in der Essener Philharmonie. Nicht nur ihr atemberaubendes Klavierspiel, sondern auch ihre tolle Stimme und die stilvolle Atmosphäre sorgten für eine gelungene Veranstaltung.

Wer keine Fans hat, sondern Jünger wie Tori Amos, der kann sie auch schon mal die eine oder andere Viertelstunde warten lassen. Denn kaum kommt die Song- und Tasten-Grazie in der beinahe ausverkauften Essener Philharmonie hereingeweht, fliegt ihr alles zu - Blicke, Jubel, Herzschläge, die Gunst des Augenblicks. Die ersten Reihen der Amos-Gemeinde im Saal sind fast durchweg halloweenesk kostümiert, auf der Bühne flackern Windlichter in einem Dutzend ausgehöhlter Kürbisfratzen, alles ist parat zur Messe für den roten Mond des Pop.

„Shattering Sea“, der Auftakt des jüngsten Albums“, schlägt wie auf der gesamten Tournee die Pforten zum Amos-Land weit auf. Doch schnell zerschlägt sich auch die Befürchtung, die „Night of Hunter“-Tour könnte ein Werbefeldzug für das gleichnamige Album bei der Deutschen Grammophon werden, das aus lauter Variationen auf klassische Klavierstücke von Bach bis Chopin und Satie besteht. Hier wird ein „Star Whisperer“ eingestreut, dort ein „Fearlessness“, aber das war’s auch schon. Den Rest des Programms haben die Fans und ihre Hohepriesterin des verständigen Gefühlsgesangs zusammengestellt. Die Gemeinde durfte sich was wünschen, aber selbstverständlich wäre keiner außer Mrs. Amos herself auf die bizarre Mischung aus Perfektion und Parodie, mit der sie hier ein banales Liedchen wie „Moonshadow“ zelebriert. „A Sorta Farytale“, „Leather“, „Cruel“, alles wird gefeiert, und der Saal mag der Frau auf der Bühne, die selbst Triumphblick einer Diva lebt statt ihn nur aufzusetzen, an Inbrunst kaum nachstehen.

Die Finger flitzen, bis der Bösendorfer donnert

Die Ausleuchtung vor dem elegant gerafften, extrahohen Vorhang ist eher schlicht bis elegant, aber immer voller Effekt. Tori Amos schlägt von der kräftigen, ja ruppigen Blues-Ballade bis zur verschleppten Triole, vom Glockensopran bis zu den vom Leben aufgerauten Rändern der Stimme fast jeden Ton ihres weltprallen Repertoires an, und heute Abend hetzt sie ihre feinnervigen Fingerspitzen auch mal wie eine Elefantenherde über die Tasten, bis der Bösendorfer donnert. Alles, aber auch alles findet seinen Weg in diese seltsame Gegend zwischen Herz und Hirn, die nur wenige so intensiv Sinn und Sinnlichkeit auskleiden wie die 48-jährige US-Amerikanerin mit den Cherokee-Wurzeln.

Begleitet wird Tori Amos auf dieser Tour vom polnischen Streichquartett Apollon Musagète, das ihr schon beim Einspielen des „Hunter“-Albums zur Seite stand. Die beiden Geigen, das Cello und die Viola sind allerdings auch Percussions-Geräte, die ihrer Glanznummer „A Multitude of Shades“ einen erzrockigen Groove verpassen. Der ausgiebige Zugabenteil bringt mit Leonard Cohens „Hallelujah“ noch eine Lektion im Kunsthauchen, jeder Splitter dieses Glockenklangs malt Bilder auf das Eis des Alltags, und so zieht Tori Amos noch einmal die ungeliebten Stiefel an, es wird, nach zwei Stunden, „Winter“, inklusive der Anweisung „Never change all the white horses“. Auf die Idee wäre aber auch keiner gekommen.