Herten/Duisburg. . Die Stadtbibliotheken leisten echte kulturelle Basisarbeit, und doch fühlen sie sich von finanziellen Einschnitten im Kulturbereit besonders stark betroffen. Gerade im Ruhrgebiet aber brauchen wir sie als Motor für Integration und Sprachförderung.

Wenn man wissen will, wie es den Bibliotheken im Lande geht, dann muss man Rolf Thiele anschauen. Der Vorsitzende des Bibliotheksverbands in NRW sieht aus wie einer, der für Streit nicht gemacht ist – gemütlich, ruhig. Nun aber erläutert er die Auswirkungen von Kürzungen und Streichungen. Und sagt Sätze, die man ihm nie zugetraut hätte: „Die Theater, die haben eine sehr viel höhere Medienwirksamkeit. Dabei sinken bei denen die Besucherzahlen – und bei uns steigen sie sogar noch!“

Solidarität unter Kultureinrichtungen? Vielleicht ist es so: Steigen die Zumutungen über das erträgliche Maß, ist sich jeder selbst der Nächste.

Der „Bericht zur Lage der Bibliotheken 2011“ belegt einen Spitzenplatz für NRW, was die Kürzungen angeht: 53 Prozent aller Bibliotheken sind hier betroffen, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Folgen: Weniger neue Medien in den Regalen, weniger Veranstaltungen, kürzere Öffnungszeiten und Stellenstreichungen. „Schon seit 20 Jahren“, sagt Jan-Pieter Barbian, Direktor der Duisburger Bibliothek, „verlieren wir Bibliothekarsstellen. Das ist so, als würden einem Orchester die Geiger gestrichen.“

Was nutzt den Bürgern die gute, alte „Stadtbücherei“ in Zeiten des Internet? Die Bibliotheken haben gemerkt, dass sie die Antwort auch denen aufdrängen müssen, die die Frage schon gar nicht mehr gestellt haben. Zwei Beispiele.

„New4You“ in Duisburg

Seit 1956 ist die Stadtbibliothek in einem ehemaligen Kaufhaus in der Fußgängerzone beheimatet. Der Umbau von 2001 hat dem Haus eine Glasfront beschert und ein Literaturcafé. Im Erdgeschoss liegen Kinder- und Jugendbibliothek. „New4you“ sind hier die Bücher. Wobei: Bei der Hälfte aller Medien handelt es sich um DVDs und CDs. Und wieso darf hier die Volksbank Werbung machen? Weil sie, na klar, Geld gegeben hat.

Stolz sind die Duisburger zum einen auf ihre Interkulturelle Bibliothek. „Küçük Beyaz Ayi“ steht hier zweisprachig: „Der kleine Eisbär“. Aber auch Bücher für Erwachsene, Literatur, Ratgeber. Ein türkischer Bibliothekar betreut auch die Müttergruppen aus Marxloh. „Er legt ihnen nahe, wie wichtig es ist, Deutsch zu lernen“, betont Barbian.

Duisburger Stolz, zum zweiten: ist das „Schulmedienzentrum“. Kostenlos können Lehrer hier Klassensätze ausleihen – oder im Netz Filme über ein eigenes Portal herunterladen. Zudem betreibt Duisburg auch in den Stadtteilen „SchülerCenter“, in denen Lernhilfen stehen: zum Hausaufgabenmachen in der Bibliothek.

Umso bedauerlicher, bei allem Engagement für den Nachwuchs, sind die Einschnitte in den Veranstaltungsetats. Das Kinderbuchfestival „IKIBU“, das seinen 40. Geburtstag feiert, muss mit 21 000 Euro auskommen. 1971 waren es 200 000 Mark.

Das Herz von Herten

1994 zog die Hertener Bibliothek in das spektakuläre „Glashaus“ in der Innenstadt. Das Haus hat einen Veranstaltungssaal mit 300 Plätzen – alternativlos in einer Stadt ohne Theater, Konzerthalle oder Museum. Schaut man hoch im Glasrondell, sieht man begrünte Lese-Balkone. Unten brummt die Gastronomie. „In der Innenstadt gab es nichts mehr, was die Leute anzog“, sagt Bücherei- Leiterin Cornelia Berg. Die Bibliothek als Herz des Strukturwandels, so etwas muss politisch gewollt sein.

In einer Stadt, in der ein Drittel aller Kinder von Hartz IV lebt und der Migrantenanteil in den Kitas bei 40 Prozent liegt, hat sich die Bibliothek als Integrationsmotor bewiesen. So soll die Aktion „Jedem Kind ein Buch“ junge Leser gewinnen. „Und wenn die türkischen Kinder mit ihrer Klasse bei uns waren – dann kommen sie oft mit ihren Müttern wieder“, so Cornelia Berg.

Um mehr Personal für Schul-Kooperation zu Verfügung zu haben, hat Herten auf die elektronische Ausleihe (RFID) umgestellt: Leser scannen ihre Medien nun selbst ein. Das Geld für die Technik kam zur Hälfte aus dem Konjunkturpaket II, immerhin 100 000 Euro aber gab die Stadt. Uli Paetzel, Bürgermeister der finanzschwachen Stadt („Mit Geld kann ja jeder“), hegt denn auch „keine Kürzungsgedanken“ im Etat der Bibliothek.

Herten zeigt, was möglich ist, wenn die gute, alte Stadtbücherei aufgemöbelt wird. Im Herzen des Kultur- und Begegnungszentrums haben sich die Ausleihzahlen mal eben vervierfacht.