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In seinem neuen Roman „Die bezaubernde Florentinerin” schlägt Salman Rushdie einen tollkühnen Bogen zwischen dem Florenz der Renaissance und der großen Zeit der Mogul-Könige in Indien.

„Im Paradies haben Anbetung und Auseinandersetzung die gleiche Bedeutung. Der Allmächtige ist kein Tyrann. Im Hause Gottes steht es jedem frei, nach Belieben zu reden, denn ebendies versteht man dort unter Andacht.”

Großmogul Akbar, Herrscher über Hindustan, ist von den Worten eines aufmüpfigen Fürsten gerührt. „Wir versprechen Euch, dass wir dieses Haus der Anbetung hier auf Erden schaffen werden” versichert er – und hackt dem „kleinen, aufgeblasenen Blödmann” kurzerhand den Kopf ab. Fühlt sich, weil er nicht nur strenger Herrscher, sondern auch empfindsamer Mensch ist, hinterher ziemlich mies. Er sehnt sich nach einer „Welt, in der er die selbstgefällige Befriedigung der Eroberungen durch die sanfteren, doch anspruchsvolleren Freuden des Diskurses ersetzen konnte”.

Akbar, der sein Reich durch religiöse Toleranz zur Größe führen will richtet am Hof in Fatehpur Sikri tatsächlich ein Haus der Verehrung ein, in dem jeder alles sagen darf, sagen soll, sogar zur Nichtexistenz Gottes oder zur Abschaffung der Könige.

Es gab ihn wirklich, Akbar den Großen (1556-1605): Salman Rushdies prachtvoller, immer wieder irritierend weiser Roman entführt in die Zeit der muslimischen Mogul-Reiche Indiens. „Die bezaubernde Florentinerin” ist durchaus ein Historienroman. Rushdie entführt aber auch in eine Zeit, in der von einem Wort, von einem überzeugend geäußerten Gedanken ein Zauber ausgehen kann; in der Fantasie und Realität sich durchdringen, in der die Menschen die Unterscheidung zwischen dem Prosaischen und dem Poetischen noch nicht getroffen haben. „Die bezaubernde Florentinerin” ist auch eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht.

Und so hält, einer Scheherazade gleich, ein blonder Europäer im kunterbunten Harlekin-Flickenkostüm auf einem Ochsenkarren Einzug am Hof in Fatehpur Sikri. Der Fremde, der in sieben Sprachen träumen kann und dessen einzige Waffe das Wort ist, nennt sich Mogor dell'Amore, Mogul der Liebe, manchmal auch Vespucci und gibt vor, ein Edelmann aus Florenz zu sein. Mehr noch: Der Italiener präsentiert sich dem viel älteren König, dessen Stammbaum auf Timur und Dschingis Khan zurückgeht, als dessen Onkel und schickt sich an, erzählend den Beweis zu erbringen.

Ein Jahrhundert zuvor, in Florenz, durchstöbern drei pubertierende Jugendliche den Wald nach zauberkräftigen Alraunen. Einer ist Niccolò Machiavelli, der spätere Philosoph und Staatsmann. Freund Agostino Vespucci, Vetter des seefahrenden Amerigo, ist eher der häusliche Typ. Antonio Argalina schließlich wird zum Bindeglied zwischen Orient und Okzident, zwischen Märchen und Wirklichkeit. Argalina schließt sich Admiral Andrea Doria an, konvertiert zum Islam, wird Janitscharen-Kommandeur, pfählt Vlad „Dracula” den Pfähler, besiegt den Schah von Persien. . .

Und als er nach vielen Jahren mit seiner Truppe zurückkehrt ins Florenz der Medici, bringt er eine Begleiterin mit: Die bezaubernde Florentinerin, eigentlich Kara Köz, genannt Schwarzauge, die schönste Frau der bekannten Welt, deren Wirkung sich kein Mann entziehen kann, wird nach dem Ende der Glaubensdiktatur von Girolamo Savonarola zur Symbolgestalt für ein neues Zeitalter. Diese Kara Köz – durch dell'Amores Erzählungen wird das für Akbar und Teile seines Hofstaates immer mehr zur historischen Gewissheit – war eine „vergessene” Mogul-Prinzessin, eine Großtante, die sich, von unbändigem Freiheitsdrang getrieben, einst von der Familie löste, gen Westen zog und aus den Annalen gelöscht wurde.

Die Geheimnisvolle inspiriert nicht nur Akbar, sondern auch die Frauen, die ihr eigenes Leben ebenfalls ohne Rücksicht auf Konventionen zu formen beginnen. „Wenn Frauen den Hadsch schafften, konnten sie auch Berge erklimmen, Lyrik schreiben und die Welt allein reagieren. Es war ein Skandal, keine Frage, aber der Herrscher liebte solche Einfälle.”

Tollkühn springt Rushdie durch Zeit und Raum. Sein Gedankenkosmos ist prall gefüllt mit Reflexionen über Liebe, Freiheit und die Pluralität des Seins, über östliche Mystik und westliche Rationalität. Und nicht zuletzt geht es – im Verhältnis der Figur Akbars zu der des Niccolò Machiavelli – um die Frage: Kann ein Herrscher gerecht regieren, oder ist im Wesen der Gerechtigkeit etwas angelegt, das in die Ungerechtigkeit treibt?

Ein faszinierender Großmogul

Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin. Roman. 448 Seiten. 19,90 Euro.Obwohl mit Kara Köz wieder eine starke Frauenfigur im Mittelpunkt steht, ist Großmogul Akbar der faszinierendste Charakter. Bollywood hat dem legendären Herrscher jüngst das Historienepos „Jodhaa Akbar” gewidmet, das soeben auf DVD bei Rapid Eye Movies (Vertrieb Alive) erschien ist.