Der dritte Teil von Haruki Murakamis fantastischem Prosa-Projekt „1Q84“ ist erfüllt von der Idee, dass der Mensch eine Bestimmung habe.
Wer im Jahr 1Q84 lebt, sieht nachts zwei Monde am Himmel und hört womöglich die Stimmen der „Little People“. Vielleicht hat er, der in diesem Jahr lebt, sogar den Bestseller „Die Puppe aus Luft“ gelesen, der die Geheimnisse einer Sekte ausplauderte. Nun schweigen die „Little People“ – und der „Leader“ der Sekte hat sich ermorden lassen.
Die Welt von „1Q84“, dem weit ausholenden Wurf des Japaners Haruki Murakami, wäre damit grob umrissen. Und auf die Fortsetzung eines solchen Fantasy-Quatsches haben wir sehnsüchtig gewartet?
Murakami nutzt den Raum, den er sich in schöner Orwell- Tradition durch die Parallelwelt schafft, zur geschickten Spiegelung der Realität, und zwar in einer perfekt ausbalancierten Komposition. In den ersten beiden Bänden erzählte er abwechselnd aus der Perspektive zweier Liebender, die zueinander nicht finden konnten: Aomame, Tochter sektenhöriger Eltern, erlebte die Kindheit als Ausgegrenzte und hat später als Auftragskillerin den Sektenführer getötet. In der Grundschule reichte ihr Tengo, ein sportlicher, beliebter Junge, für einige Sekunden seine Hand. Seither besteht eine Verbindung zwischen den beiden, die nun gar zum erzählerischen Wagnis einer unbefleckten Empfängnis führt. Weil Tengo am Luftpuppen-Roman mitwirkte, wird er verfolgt vom missgestalteten Un-Wesen Ushikawa – der dritten Perspektive im dritten Teil des Prosa-Projekts.
Zwei, die einander an den Händen halten. Seltsam: Der Roman handelt von Sekten, religiösem Wahn, Missbrauch, Gewalt, Vaterlosigkeit, Einsamkeit – und lässt doch dieses eine, warme und tröstliche Bild zurück. Das sich unversehens und gewollt in eines der heiligen Familie wandelt. Einmal heißt es: „Eines Abends, als sie den von kalten Winden durchwehten Park beobachtete, stellte Aomame fest, dass sie an Gott glaubte.“ Sie zitiert unbewusst einen Satz C.G. Jungs: „Ob es warm ist oder kalt, Gott ist einfach da.“
Wie passt Gott in einen Fantasy-Roman? Die surrealen Elemente in Murakamis Werken dienen ja der Illusion von Schicksalhaftigkeit: Wenn Aomame monatelang einen Park beobachtet, um Tengo zu finden – und eines Tages sitzt er dort wirklich auf dem Spielplatz und schaut die zwei Monde an –, dann sind nicht die Monde das wirklich Fremde dieser Welt. Es ist vielmehr die Idee, eine Bestimmung zu haben und zur Erfüllung beitragen zu können. Das ist in Zeiten undurchschaubarer globaler Krisen und wilder Synergie-Partys vielleicht die wahre Fantasy.
Haruki Murakami: 1Q84 – Teil 3. Dumont, 578 S., 24 €.