Mülheim. .
Zuhause, das war für den eigentlich lebenslang heimatlosen Maler Werner Gilles, trotz allem, Mülheim. Sein Flucht- und Sehnsuchtsort aber blieb die Insel Ischia. In einer werk- und themenreichen Schau erinnert das Mülheimer Kunstmuseum Alte Post anlässlich seines 50. Todesjahres nun an den zuletzt in Vergessenheit geratenen Welt- und Zeitenwanderer, der auf dem weiten Spielfeld zwischen Klassizismus und Moderne seine ganz eigene Position fand, als „Träumender und Sehender“, so der treffende Ausstellungstitel.
Werner Gilles, 1894 in Rheydt geboren, Volksschullehrersohn, mit acht Geschwistern in Mülheim aufgewachsen, 1961 in Essen gestorben, in Mülheim begraben, Zeit- und Weggefährte von Otto Pankok, Bauhaus-Schüler und zweifacher documenta-Teilnehmer, war ein Einzelgänger in Kunst und Leben und trotzdem tief verankert in den Strömungen seiner Zeit.
Wer der großzügig über zwei Etagen gehängten, mit Landschaften, Stillleben und Aquarell-Zyklen reich bestückten Ausstellung folgt, der wird in den farbleuchtenden und flächenstrukturierten Gemälden durchaus deutliche Anklänge an Klee und Picasso finden, an Matisse und Braque. „Der Heilige Franz“ in seiner frühen, expressiv-kubistischen Anmutung und das düster-dramatische „nach der Bombennacht“ von 1950 sind da nur einige Beispiele.
Ihn locken die Musik, die Dichtung, die Mythen
Und doch sucht Gilles, von den Nazis 1937 in die Ausstellung „Entartete Bilder“ gezwungen und nach dem Zweiten Weltkrieg doch rasch wieder in den Kunstbetrieb eingegliedert, immer seinen eigenen Ausdruck, seinen künstlerischen Weg.
Oft ist dieser Weg von Melancholie gekennzeichnet. Gilles, den ein früher Schlaganfall und schwere, von Lösungsmitteln herrührende Hautkrankheiten schwächen, wird als der „Orpheus“-Maler berühmt. Und wie sein antiker Held bewegt er sich am Rande des Totenreichs, angezogen von der Musik, der Dichtung, den Mythen, die seine Kunst oft in eine entrückte, zweideutige Welt der Engel und Dämonen verwandeln, der Zeichen und Schraffuren, der Ornamente und sichelförmigen Geschöpfe. Die Motivwahl ist manchmal so reich, als wolle Gilles auf einer Leinwand mehrere Bilder entstehen lassen.
Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit
Wie ein heiteres-entspanntes Aufatmen wirken da die Landschaftsaufnahmen aus Ischia, die Hügel und Felder, mit denen sich Gilles immer weiter in die Abstraktion vorwagt, bis sich die Wolken irgendwann wie dicke veilchenblaue Buckelwale am Horizont türmen. Sein Schiffs-Zyklus aus den 60ern holt das gleißende Leuchten alter Turner-Gemälde ins 20. Jahrhundert und macht aus den Fischern gleichsam antike Helden-Gestalten.
Rund 150 Gemälde und Aquarelle hat die Alte Post aus eigenem Bestand und Leihgaben zusammengetragen und zeigt, wie einer die Zukunft der Malerei sucht und der Avantgarde gegenüber doch immer kritisch bleibt.
Wer Zeit und Gelegenheit findet, der folge Werner Gilles für eine Weile in diesen reizvollen Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit.