Reykjavik. .
Skurril, poetisch, selbstironisch: So präsentiert sich das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse, die in der kommenden Woche beginnt. Wir stellen die spannendsten neuen Romane vor.
Unter den 300 000 Isländern gibt es kaum einen, der nicht mit Literatur zu tun hat. Als Autor – oder wenigstens als leidenschaftlicher Leser. Und so beschert uns das bisher lässigste Gastland der Frankfurter Buchmesse, die am 12. Oktober startet, gleich 200 neu übersetzte Bücher. Eine Auswahl.
„Ich lebe allein in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Wir haben es wahnsinnig gemütlich“ – und schon, nach zwei Sätzen, hat er uns. Hallgrímur Helgason, kahlköpfig, bärtig, verkörpert den Coolen wie kein anderer isländischer Autor. Seit „101 Reykjavik“ verfilmt wurde, wächst seine Fangemeinde und jubelte zuletzt über „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen“. Nun erfindet er eine 80-Jährige, die drei Söhne von neun Männern hat und auch sonst einiges zu erzählen. „Eine Frau bei 1000° “ (Klett-Cotta, 400 S., 19,95 €) entwirft im wilden Ritt ein Panorama des 20. Jahrhunderts, vom Nazi-Terror in Dänemark bis hin zu Islands Finanzcrash – skurril, berührend, einzigartig. Wo sonst finden wir eine greise Heldin, die E-Mails hackt?
Er wohnt im Zentrum Reykjaviks, in seinen Büchern aber zieht es ihn hinaus in die Natur. Er schreibt seit Jahrzehnten minimalistische Romane mit einem Hauch Fantastik – aber wird erst jetzt als „Erneurer“ der isländischen Literatur gefeiert, gar mit dem Nordischen Literaturpreis geehrt: Gyrðir Elíasson nimmt die Widersprüche seines Lebens gelassen zur Kenntnis, mit dem ihm eigenen verschmitzten Lächeln. Im neuen Roman „Am Sandfluss“ (Walde + Graf, 137 S., 16,95 €) erzählt ein Maler, der im Wohnwagen lebt, von der Einsamkeit des Kreativen. Elíassons Vater und Brüder sind ja Künstler, im Falle Olafurs gar international erfolgreich: „Daher musste ich etwas anderes machen – und wurde Schriftsteller.“
Die Romanhelden von Jón Kalman Stefansson werden geschüttelt von Meeresstürmen und Eisregen; einmal friert der Postbote auf seinem Pferd fest. Und ein Junge verliebt sich in die Tote, deren Sarg er zur letzten Ruhe durch den Schnee schleppt. Den Fischerjungen kennen wir bereits aus dem Roman „Himmel und Hölle“. Jetzt führt ihn „Der Schmerz der Engel“ (Piper, 352 S., 19,99 €) fort vom blinden Kapitän Kolbeinn, bei dem er Unterschlupf fand, erneut hinaus in die unwirtliche Welt des vergangenen Jahrhunderts. Den Naturgewalten setzt der 47-jährige Autor, ein so feinsinniger wie bescheidener Mensch, die Kraft der Poesie entgegen: „Unsere Augen sind wie Regentropfen, voller Himmel, klarer Luft und Nichts.“ Oder: „Wir sitzen in einem morschen Ruderboot mit einem brüchigen Netz und wollen Sterne fischen.“ Das ist der Roman ja selbst: ein hell leuchtender Stern.
Einar Már Gudmundsson ist Schriftsteller, Poet und, seit der Finanzkrise, auch politischer Aktivist gegen Gier und Korruption. In seinem bisher bekanntesten Werk „Engel des Universums“ erzählte er die Geschichte seines behinderten Bruders. In „Vorübergehend nicht erreichbar“ (Hanser, 332 S., 19,90 € ) schreibt er über jenes Familienmitglied, das er am besten kennt: sich selbst – ein Klischee. Denn das sind alkoholkranke Schriftsteller ja, zumal im hohen Norden. Gudmundsson verwebt die eigene Entzugs-Geschichte mit den Briefen zweier Menschen, die die Liebe aus der Sucht rettete. Alles an diesem berührenden Buch ist wahr. Eva und Einar Pór lernte der Autor bei den Anonymen Alkoholikern kennen.
Typisch. Die Autorin Jónína Leósdóttir ist in zweiter Ehe verheiratet mit Islands Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurðardóttir – und das ist im lässigen Island gar kein Thema. Leósdóttirs neuer Roman aber schon, ist er doch der erste „Frauenroman“ des Landes: In „Am liebsten gut“ (KiWi, 304 S., 16,99 €) schuftet sich Heldin Nína ganz klassisch krumm für Kinder, Mann, Schwester und Vater und den Rest der Welt. Leósdóttir por-trätiert auf heitere Weise ein Land, in dem die Frauen die Starken sind. Und warum sieht man so viele von ihnen sticken und stricken? Das sei der finanziellen, nicht einer feministischen Krise geschuldet, sagt Leósdóttir: „Das Selbstgemachte ist im Trend.“ Überfluss und Luxus provozierten nur noch Spott: „Wir sagen dann: das ist sooo 2007!“