Berlin. .
Keiner schindet sich – und der Kaiser ist auch da: In Berlin zeigt ein neues 360-Grad-Panorama das alte Pergamon.
Pergamon lebt. Für zwölf Monate ist die antike Großstadt auf der Berliner Museumsinsel rundum wieder auferstanden — in Form eines spektakulären 360-Grad-Panoramas und einer fast perfekten Illusion: In Zeitraffer läuft alle zehn Minuten ein Frühlingstag in der hellenistischen Welt ab, vom Sonnenaufgang bis in die Nacht. Und der Kaiser ist auch da.
Es ist der 8. April des Jahres 129 nach Christus. Das prächtige Pergamon gehört mittlerweile zum römischen Reich, seine weithin berühmten Tempelbauten aber stehen schon seit mehreren Jahrhunderten in der kleinasiatischen Sonne. Das weiß auch der römische Kaiser Hadrian, ein Mann mit Kunstverstand und Reiselust. Sein Besuch in der Provinz ist für das Jahr 129 verbürgt – doch was genau geschah, ist Spekulation.
Der Panoramakünstler Yadegar Asisi, der seit Jahren in ehemaligen Gasometern in Leipzig und Dresden historische Panoramen zeigt, hat sich ausgemalt, wie es gewesen sein könnte. Mit leicht bewölktem Himmel, mit Hundegebell und herumflitzenden Kindern. Es ist der fulminante Auftakt zur ersten umfassenden Pergamon-Ausstellung überhaupt - und es ist zum Staunen.
Im Innenhof des Pergamonmuseums steht eine gasometer-ähnliche Rotunde, innen geht es 90 Stufen nach oben auf eine Plattform. Der Effekt: Der Besucher glaubt sich auf einem Aussichtsturm, der mitten in den Burgberg der antiken Stadt gebaut scheint. Von hier schweift der Blick – über die Akropolis von Pergamon, über den Dionysostempel hinweg und über die Hügel und Vororte bis an den Horizont. Vor dem Altar des Zeus, dessen berühmter Fries noch heute jedes Jahr über eine Millionen Besucher ins Berliner Pergamonmuseum zieht, spielen drei kleine Kinder mit Steinchen. Weiter unten schlafen die Katzen und die Säufer in der Sonne.
Wo das antike Pergamon war, liegt heute Bergama, eine Kreisstadt in der Nähe der türkischen Westküste. Seit über 130 Jahren graben die Deutschen hier nach Überresten der alten Metropole. Doch zum ersten Mal werden die Fundstücke jetzt im Zusammenhang gezeigt. Da schmerzt es doppelt, dass es auf offizieller türkischer Seite offenbar wenig Interesse an einer Beteiligung gab – wichtige Leihgaben wurden bislang verweigert.
Dabei schien alles gut: Die Sphinx von Hattuscha, eine antike Skulptur, um deren Rückgabe beide Seiten bis zum Frühjahr heftig stritten, ist zurück in der Türkei. In Berlin hofften sie nach dieser Geste auf Tauwetter. „Aber das kann ich nicht feststellen“, so Antikenchef Andreas Scholl. Er bedaure das sehr. Immerhin dürften die Grabungen auch im 134. Jahr fortgesetzt werden.
Als der Essener Bauingenieur Carl Humann 1864 zum ersten Mal nach Bergama kam, traute er seinen Augen kaum: Einheimische Arbeiter zerstückelten antike Statuen und Reliefs, um sie in Kalköfen zu verbrennen. Humann gelang es, in den folgenden Jahren vieles zu retten – darunter auch die Reliefs des Pergamon-Altars, die teilweise in nachantiken Verteidigungsmauern verbaut waren. Lange nach seinem Tod eröffnete 1930 in Berlin das Pergamonmuseum mit dem Altar als Herzstück. Hitlers Chefarchitekt Albert Speer soll sich bei der monumentalen Treppe Ideen für seine Entwürfe zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg geholt haben.
Hintergrundgedudel
Nun ist aus Zehntausenden Fotos der Ruinen am heutigen Burgberg in Bergama, mit Statisten in historischen Kostümen und viel Digitaltechnik, das über 100 Meter lange Pergamon-Panorama entstanden. Gedruckt wurde – wie schon bei Asisis früheren Arbeiten – in Lennestadt im Sauerland. Das Ergebnis ist spektakulär, aber auf leise Weise: Die hellenistische Stadt, wie Asisi sie zeigt, ist eine heitere, friedliche Welt mit aufrechten Menschen in Feiertagslaune. Niemand schindet sich, keiner wird geschunden. Es ist ein berührendes Sehnsuchtsbild – die kitschige Hintergrundmusik ist da nicht nur völlig überflüssig, sondern nachgerade störend.