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Filmemacher Oskar Roehler („Elementarteilchen“) hat seinen ersten Roman veröffentlicht. In „Herkunft“ erzählt Roehler von seiner Kindheit und Jugend. Ein schillerndes Generationenporträt und düsteres Horrormärchen.

Wer den Filmemacher Oskar Roehler („Elementarteilchen“) kennt, der weiß: in seinem Werk lauert keine launige Mittellage, keine routinierte Mäßigung. Roehlers natürliche Gemütslage ist der emotionale Überdruck, die größte Stärke und Schwäche seiner Arbeit ist: Materialüberschuss. Was für Roehler-Filme gilt, trifft erst recht auf seinen ersten Roman zu: „Herkunft“ ist ein Trumm von Buch, eine Wucht an Offenbarung, eine wütende Abrechnung mit der eigenen Kindheit, dem Selbstverwirklichungswahn der ‘68er und der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur. Und ein stillbebender Sehnsuchtsschrei.

Düsteres Horrormärchen

Roehler, der im Buch zwar Robert heißt, aber doch ziemlich klar die Geschichte seiner eigenen Kindheit und Jugend erzählt, zeigt dabei einmal mehr, dass man auch aus wenig zusammenpassenden Teilen ein Ganzes basteln kann, ohne dass die Geschichte auseinanderfällt. So vermengt er Biografisches mit Fiktionalem, Historisches mit Kolportage. Er erzählt eine wüste Familiengeschichte, ein düstereres Horrormärchen, ein schillerndes Generationenporträt.

Die Eltern Nora und Rolf, das sind: Klaus Roehler, Autor, aber auch Lektor von Günter Grass. Und Gisela Elsner, fanatisch-feministische Antimutter und Liebling der Nachkriegsliteraten, 1992 stürzt sie sich aus dem Fenster. Mit dem Film „Die Unsichtbare“ hat sich Roehler auf seine Art mit der lieblos-egozentrischen Mutter versöhnt. Was an ein Wunder grenzt, wenn man nun liest von einer Kindheit ohne Muttermilch und Liebe, nicht mal für frische Windeln reicht die Zuwendung. Mit drei darf der kleine Robert den Eltern beim Sex zuschauen.

Es sind Heul- und Wanderjahre: Von den Eltern abgegeben, wird er zu den Großeltern verfrachtet, später ins Internat geschickt. Es ist die Geschichte eines Jungen, der Herz und Heimat in allem suchen wird, was sich ihm zuwendet – die Oma, die Nachbarsfamilie, die Jugendliebe Laura.

Brutal und sentimental

So ist „Herkunft“ mal von schonungsloser Traurigkeit und Brutalität, dann wieder seltsam sentimental. „Der Sommer war meine Heimat gewesen“, schreibt Roehler im blumigen Poesiealbenton und kann sich kaum lösen von den wenigen heilen Kindheits-Erinnerungen, den großelterlichen Wiesen, den Krüppelweiden, den Spielen mit den Nachbarjungs. Auch die Erzählungen der Internatsjahre zwischen Liebeskummer und Klammerblues geraten bisweilen verklärend.

So packen gerade die Stellen am meisten, die Erzählung sind, nicht Erlebtes. Die Rückkehr seines Großvaters aus dem Krieg, diese Begegnung mit einem Land, das man nicht mehr kennt, die Konfrontation mit der schlimmsten Niederlage, von der eigenen Familie nicht mehr erwartet, schon gar nicht mehr geliebt zu werden, vermittelt Roehler mit großer Intensität. Der Großvater, der Nazi war und später mit Gartenzwergen reich wurde, er kommt in diesem Buch nicht am schlechtesten weg.