Oberhausen. . Zappelnd und nervös im Garten der Lüste: Herbert Fritsch inszeniert Lessings „Emilia Galotti“ im Theater Oberhausen. Grandis zwischen einer giftigen Natter und dem Katzbuckeln eines devoten Gollums: Jürgen Sarkiss als Marchese Marinelli.

Lessing? Soll diese „Emilia Galotti“ wirklich Lessings „Bürgerliches Trauerspiel“ sein, das da auf der Oberhausener Bühne abrollt? Das Äußere spricht eher für Molière: die Gesichter bleich geschminkt, die Haare tollkühn geformt, die Kostüme (Victoria Behr) von unbändiger Farbigkeit. Nimmt man die gezierte Körpersprache der Akteure hinzu, dann hat Herbert Fritsch als Regisseur es wieder einmal geschafft: Aus tieftraurigem Material tritt bei ihm eine düstere Posse zutage, die all die Lächerlichkeit ans Licht spült, die dem Gebaren der Figuren innewohnt.

Es geht in diesem 1772 uraufgeführten Stück um den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum, der hier blaublütige Wollust auf die ehernen Moralvorstellungen des einfachen Volkes treffen lässt. Der Prinz von Guastalla, ein sichtlich überforderter Popanz, hat sich gerade rasend in die bürgerliche Emilia verliebt und möchte sie zu seiner Mätresse machen. Pech nur, dass die keusche junge Dame kurz vor der Hochzeit mit dem Grafen Appiani steht. Ein Problem, das der intrigante Kammerherr Marinelli schnell aus der Welt schafft, indem er die Kutsche des Brautpaars überfallen lässt und dafür sorgt, dass der Bräutigam das Zeitliche segnet. Nun könnte der brünstige Prinz zur Tat schreiten, würde Emilia nicht zum Äußersten schreiten: Aus Angst vor dem Verlust ihrer Reinheit lässt sie sich von ihrem Vater lieber töten.

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Von DerWesten

Soweit Lessings blutrünstiges Gespinst, erklärbar nur noch aus der Zeit heraus, damit aber genau die richtige Vorlage für einen Regisseur wie Herbert Fritsch, dem Enthäuter klassischen Bühnenmaterials. Zu zart hingetupfter Mozart-Musik (Klavier: Otto Beatus), gelegentlich auch mit Gesangseinlagen des Ensembles, zappeln hier die Akteure wie Marionetten am Gängelband eines festgelegten Schicksals. Allein Marinelli, dem Jürgen Sarkiss in hautengem Harlekin-Kostüm eine schlangenhafte Gestalt verleiht, bewegt sich aalglatt zwischen allen Fronten und versucht, das Schicksal im Sinne seines Herrn zu manipulieren. Die Rolle mag immer schon die dankbarste des ganzen Stücks gewesen sein, bei Sarkiss aber, verortet irgendwo zwischen dem Gebaren einer giftigen Natter und dem Katzbuckeln eines devoten Gollums, wird sie schier zum Ereignis.

Wie meist bei Fritsch und seiner Neigung zur Groteske, leiden die aufmarschierenden Figuren unter starker Nervosität, die bei Emilias Mutter bis hin zu pausenloser Hysterie reicht. Unterstützt wird das vor allem durch die Art des Sprechens: Nach kurzen Momenten der Sammlung stürzen die Worte nur so aus den Mündern, einem vokalen Tsunami gleich. So überhastet artikuliert man ansonsten in niederen Verwechslungskomödien, hier wird dadurch eher ein phonetischer Schutzzaun um den Garten der Lüste gezogen, der hinter dem ganzen Tugendgeschwafel wuchert.

Pas de deux mit
dem Herrn Papa

Die puppenhafte Emilia (Angela Falkenhan) in ihrer lasziven Unschuld sucht am Ende denn auch den Suizid weniger aus Angst um ihre Ehre. Tatsächlich hat schreckt sie vor all dem Begehren zurück, das sie plötzlich in sich spürt.

Ihr finaler Pas de deux mit dem Vater (Torsten Bauer als Reinkarnation einer Heinrich-George-Figur aus alten Ufa-Filmen) gerät denn auch zu einem besonderen Stück Erotik. Erst nimmt sie jeden Finger ihres Vaters in den Mund, um an das Messer zu kommen, dann lässt sie sich durch starke Körperstöße des Papas von der Klinge penetrieren. Kein Schuft, der Inzest dabei denkt.