Bochum. . Auftakt zur Ruhrtriennale 2011: Intendant Willy Decker inszeniert in der Bochumer Jahrhunderthalle Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ als ein reduziertes Spiel der Entgrenzung. Mit guten sängerischen Leistungen und fulminant aufspielenden Duisburger Philharmonikern.

Am Anfang ist da nur ein heller, horizontaler Streifen. Darüber ein massiger Vorhang, breit und die gewaltige Bühne dahinter ahnen lassend. Die ersten Klänge von Wagners „Tristan“-Musik schweben durch den Raum. Zaghaft zunächst und stockend, dann mehr und mehr fließend, fordernd, wild, um sich wieder zu beruhigen, in Stille mündend.

So beginnt in der Bochumer Jahrhunderthalle, zum Auftakt der Ruhrtriennale 2011, Richard Wagners musikalisches Drama „Tristan und Isolde“. Wenn sich dann der Vorhang hebt, eine gewaltige helle Platte sich aufrichtet wie zu einem schrägen Dach und darunter eine Schar wie hereingewürfelter Menschen liebt und verrät, träumt oder stirbt, dann wollen wir an ein mächtiges Schicksal glauben, das uns lenkt.

Triennale-Intendant Willy Decker, der in seiner Abschieds-Spielzeit den „Tristan“ inszeniert, hat sich, zusammen mit seinem Ausstatter Wolfgang Gussmann der Reduktion und Abstraktion verschrieben. Nur keine überflüssigen Requisiten. Damit stellen sie sich in die Tradition Wieland Wagners, des radikalen Bühnenentrümplers von Bayreuth.

Doch was dem Komponisten-Enkel das düstere, mystische Schwarz war, ist in Bochum zunächst ein steriles Weiß. In diesem Labor wirken lauter einsame Menschen, von Decker bisweilen wie Schachfiguren auf einem Brett ohne Felder angeordnet. Dass dabei Nähe große Distanz, Ferne aber innige Empathie bedeuten kann, ist eine der wundersamen Paradoxien dieser Inszenierung.

Manchmal wirkt die Platte über der Bühne wie eine erdrückende Wand, die den Menschlein das Atmen schwer zu machen scheint. Weite dort, fast klaustrophobische Enge hier – Wolfgang Gussmann setzt die reale Welt des Leidens in schroffen Gegensatz zum grenzenlosen Liebesempfinden von Tristan und Isolde.

Dass die Liebenden zum rauschhaften Höhepunkt des 2. Aktes sich in einem Meer von Gestirnen wiederfinden, dass ein Mond als Projektionsfläche dient, um sich freischwimmende Menschen zu zeigen (Video: fettFim) ist schönes Augenfutter, symbolisiert eine Entgrenzung, die in Isoldes finales „Ertrinken, Versinken“ mündet.

Diese Isolde: herrisch zu Beginn, leidenschaftlich an Tristans Seite über Liebe sinnierend, die nur im Tod Erfüllung finden kann, hilflos – Anja Kampe gewinnt ihrer Stimme alle musikalischen Facetten ab, ohne je angestrengt zu wirken. Isoldes Liebestod gilt, weil Willy Deckers letzte Triennale-Spielzeit auf den Buddhismus fokussiert ist, (nach Ulrike Kienzle) als Verlöschen der Individualität, als Entgleiten ins Nirwana. Dies szenisch einzulösen, scheint indes kaum möglich. Decker stellt Isolde an die Rampe, sie singt unter langsam verlöschendem Scheinwerferlicht. Das mutet konventionell an. Assoziation ist gefragt, wo Bilder offenbar nicht helfen.

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Dieser Tristan: ein unsicherer, täppisch-ungestümer Jung-Siegfried, dann heldisch Liebender, schließlich ein rasend Halluzinierender, anrührend im Leid Sterbender. Schade, dass Christian Franz dabei oft überzeichnet, nicht frei singt.

Alle anderen sind Randfiguren. Oft hat Decker sie an den äußersten Zipfel der Spielfläche gesetzt: Claudia Mahnke als sehr kultiviert singende Brangäne, Stephen Milling, der die Klage des betrogenen Königs Marke ein bisschen pauschal formuliert, Alejandro Marco-Buhrmester als sonor und kernig klingender Tristan-Getreuer Kurwenal.

Fulminante Duisburger

Einsamkeit, Leere, Entrückung: Kirill Petrenko am Pult der fulminant aufspielenden Duisburger Philharmoniker liefert dazu ein entschlacktes Klangbild. Keine überbordende Emphase, aber auch wenig farbliche Ausdifferenzierung. Doch dem Sog der Musik kann sich kaum jemand entziehen. Ein Wurf, wie Deckers „Moses und Aaron“-Inszenierung zu Beginn seiner Triennale-Intendanz es war, ist „Tristan und Isolde“ freilich nicht.