Essen. Simon Urban hat einen ganz besonderen Roman zur Einheit Deutschland geschrieben. Bei ihm gibt es nämlich keine. „Plan D“ erzählt von der DDR heute, wenn es sie noch gäbe...
Was für ein Buch, was für ein Wurf! Simon Urbans „Plan D“ ist d e r Roman zur deutschen Einheit – denn er spielt durch, was passiert wäre, wenn die Bundesrepublik die marode DDR 1990 nicht aufgekauft hätte. Das ist der grandiose Dreh dieses Romans: Er tut so, als habe es statt der Wiedervereinigung eine „Wiederbelebung“ gegeben, einen scheinbar demokratischen Putsch von Egon Krenz gegen Honecker.
Anschließend hat Krenz sogar Otto Schily nach drüben geholt, um die DDR von der Stasi „säubern“ zu lassen. Zehn Jahre später setzt der Roman ein – als atemnotspendende, rasante Krimi- und Agentenstory, als politischer Thriller, der mit leichter Hand und bösem Zwinkern Untiefen und Abgründe der Systemfrage erforscht.
Simon Urban spinnt eine Science-Fiction-DDR des Jahres 2011 aus, mit Liebe zum kuriosen Detail. Das Land hat noch 14,5 Millionen Einwohner, denn mit der „Wiederbelebung“ wurde auch die Mauer wieder geschlossen. Trabbis und Wartburgs sind vom Rapsol-betriebenen „Phobos“ abgelöst. Die Tom-Toms des Ostens heißen „Navodobro“, die Computer „Robotron“. Mit „Minsk“-Handys verschickt man „TNT“s und die neusten Modelle sind im Westen sehr begehrt.
Viagra heißt hier „Aufrecht“
Bei allem, was Überwachungstechnik angeht, liegt der Osten nämlich weit vorn: Das „M9“ arbeitet sogar mit automatischer Geruchsprobenentnahme, ist aber reserviert für den Geheimdienst, der doch noch viele Fäden in der Hand hat. Viagra hat der Osten auch, er nennt es „Aufrecht“. Sein Arbeitslosengeld heißt „Lötzsch 2“, der machtlose Vorsitzende des Ministerrats hingegen Gregor Gysi. Und Kanzler im Westen ist seit einem Jahr – Oskar Lafontaine. Vor den Kulissen der zerbröselnden DDR ermittelt Hauptmann Martin Wegener von der Kripo Köpenick (nur einer der Scherze am Rande). Denn da hing ein Mann an der Gas-Leitung Richtung Westen. Die Schnürsenkel des alten Mannes sind verknotet, so wie es früher bei Rache-Morden alter Stasi-Kader üblich war.
Der Fall wird brisant, weil der „Spiegel“ und sein Chefredakteur Claus Kleber davon Wind bekommen haben und die Story so weit aufblasen, dass die deutsch-deutschen Gas-Transfer-Verhandlungen zu scheitern drohen. Dabei ist die DDR auf die Devisen genauso angewiesen wie die BRD auf das Gas aus Russland. Um die Affäre sauber aufzuklären, bekommt Hauptmann Wegener zwei West-Ermittler an die Seite gestellt.
Einziger Schönheitsfehler: die Erotik-Szenen
Ein übles Doppel-Spiel beginnt. Wer will da die Gas-Verhandlungen sabotieren? Die Opec? Oder Russen, die höhere Preise für ihr Gas erzielen wollen? Der westdeutsche Greentec-Konzern für alternative Energien etwa? Es steckt allemal ein Plan dahinter, auch wenn es am Ende dieser elf Tage im Oktober 2011 ein ganz anderer wird als gedacht.
Wegeners ironiefunkelnde Aufklärungsarbeit zieht am Ende jedem System, das Menschen zwecks Menschheitsbeglückung bevormundet, die Hosen aus. Öfters sogar wortwörtlich. Darin liegt ein winziger Schönheitsfehler dieses sprachlich so geschmeidigen, lesestrudelreichen und einfallsprallen Romans voller Filmdialoge und -szenen: Was hier in tolldrastischer Absicht sein erotisches Wesen treibt, ist mitunter ein lärmendes Porno-Klischee im Mäntelchen der Parodie.
Dies ändert aber nichts daran, dass Simon Urban mit seinem grandios entworfenen „Was wäre wenn…“-Gedankenspiel die Muskeln der Literatur spielen lässt und sie mit den Mitteln der Phantasie zum Echoraum unserer Gegenwart macht. Ein Debüt, wie wir schon lange keins mehr hatten! In seiner politischen und literarischen Intensität ist es – bis hin zum emblematischen Buchumschlag – der „Blechtrommel“ eines Günter Grass an die Seite zu stellen.
Liebes- und stasikrank
Der liebes- und stasikranke Vopo-Hauptmann Wegener wird am Ende zwar zum Verlierer der Geschichte, aber hinter sämtliche Geheimnisse des Falls kommen. Wegen und trotz seines West-Pendants Brendel, der mit seinem S-Klasse-Mercedes in Ostberlin für Aufsehen sorgt. Und für den ehrlichen Neid seines Kollegen Wegener: „Der Westen hatte nicht nur mehr Beinfreiheit, er roch auch besser“. Punkt.