München.. Gut 40 Jahre nach dem blutigen Überfall aufs Olympische Dorf in München 1972 dreht das ZDF einen Film über das Ereignis, das die Welt schockte. Der spätere GSG-9-Chef Ulrich Wegener erinnert sich.
Ulrich Wegener erlebte das Attentat bei den Olympischen Spielen in München 1972 hautnah – als Verbindungsoffizier des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher. Jetzt berät er das ZDF für den Film „München 1972“, der gerade vor Ort gedreht wird. Mit dem späteren GSG-9-Chef sprach Jürgen Overkott.
Was schoss Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem ersten Toten im Olympischen Dorf und der anschließenden Geiselnahme erfahren haben?
Ulrich Wegener: Ich habe gesagt, das kann doch nicht wahr sein, dass ausgerechnet uns das passiert. Letztlich ist das passiert, was ich vorher schon befürchtet habe: nämlich dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht so waren, wie sie hätten sein sollen. Man hat aufgrund der Erfahrungen mit den Olympischen Spielen 1936 (die Nazis nutzten sie für Propaganda-Zwecke; Red.) gedacht, dass sich Deutschland offen und freundlich darstellen muss, ohne Waffen und Uniform. Ich habe diese Position von Anfang an für bedenklich gehalten. Denn es ging um den Schutz der Bevölkerung, aber auch der Mannschaften im Dorf, das ist doch keine Frage. Und als Gastgeber waren wir besonders verantwortlich für sie. Wir hätten einfach mehr tun müssen.
Gab es Hinweise, dass Terroristen die Großveranstaltung für ihre verqueren Ziele missbrauchen würden?
Ulrich Wegener: Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß. Ich weiß nicht, was unsere Nachrichtendienste vorher erfahren haben. Ich glaube aber nicht, dass es vorher irgendwelche Hinweise gegeben hat.
Anfang September 1972 war die Situation da, die keiner geahnt hat und, natürlich, auch niemand wollte. Wie sind Sie mit dem Stress umgegangen?
Ulrich Wegener: Es war verheerend. Ich hatte eine gewisse Verantwortung auch für den Innenminister. Ich war damals Verbindungsoffizier im Büro von Hans-Dietrich Genscher. Ich musste ihn beraten, ihm sagen, was ich für richtig hielt. In einer Situation wie bei einer Geiselnahme mit dem Minister zu reden, ist das gar nicht so einfach. Aber ich habe ihm nach dem katastrophalen Ausgang der Geiselnahme, unter dem er selbst gelitten hat, gesagt: Eins steht fest, so etwas darf Deutschland nicht noch mal passieren. Er hat mir zugestimmt. Und am 19. September, nur 14 Tage nach dem Anschlag, hat die Bundesregierung beschlossen, eine Spezialkräfte-Einheit (GSG 9, Red.) aufzustellen. Es war die Rede davon, das Kommando beim Bundeskriminalamt aufzustellen, aber ich habe mich dagegen ausgesprochen. Ich habe ihm gesagt, das bringt nichts, das bedeutet zu viel Bürokratie. Ich habe ihm gesagt, wir brauchen eine Spezialeinheit unkonventionellen Zuschnitts, die mit dem Phänomen Terrorismus anders umgeht.
Sie waren der richtige Mann am richtigen Platz: Sie haben ein Problem gesehen und gleich eine Lösung angeboten.
Ulrich Wegener: So viel steht fest. Und ich habe dem Minister gesagt, ich möchte diese Einheit aufstellen.
Noch mal zu den Spielen: Hätten sie nach dem Attentat abgebrochen werden müssen?
Ulrich Wegener: Ja. Ich hatte das erwartet. Das Olympische Komitee hat anders entschieden.
So einen Einsatz kann man nicht wie eine Jacke am Kleiderbügel weghängen. Wie lange haben Sie diese Ereignisse beschäftigt?
Ulrich Wegener: Sie haben mich laufend beschäftigt. Ich bin danach in Israel gewesen, eine ganze Zeit lang. Dafür haben mich einige Leute für verrückt erklärt. Ich bin aber heute noch der Auffassung, dass das die einzig richtige Entscheidung war. Wir konnten von den Israelis aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Terrorismus-Bekämpfung einiges übernehmen. Eines habe ich hundertprozentig von den Israelis übernommen: die Unkonventionalität.
Gut 40 Jahre danach wird das Thema für einen Fernsehfilm aufgearbeitet. Was spricht für das Projekt?
Ulrich Wegener: Ich glaube, dass das wichtig ist. Die junge Generation hat das Ereignis nicht miterlebt. Die Bekämpfung des Terrorismus ist heute ein weltumspannendes Problem. Und deshalb ist es wichtig, die Anfänge zu kennen. Natürlich ist es auch wichtig zu wissen, warum es in der Bundesrepublik zur Aufstellung der Spezialeinheit gekommen ist und warum sie anders arbeitet, mit einer anderen Strategie und einer anderen Taktik, als das vorher üblich war.
Werden Terroristen durch einen Film Helden?
Ulrich Wegener: Nein. Das glaube ich nicht. Der Terror, so wie er in diesem Film gezeigt wird, wirkt nicht gerade als Heldentat.