Bayreuth. . Ablehnung in Orkanstärke für den „Tannhäuser“ in Bayreuth. Sebastian Baumgartens Deutung watet im Ideologie-Kompost. Schon wieder ein tragischer Fehlgriff, der Wagner-Pilger für Jahre an eine schwache Deutung binden wird.

Das Ende ist nicht ohne Schrecken diesen Sommer. Wann, fragen sich selbst altgediente Wagnerianer, wurde je eine Sängerin so ausgebuht, dass sie sich kein zweites Mal zur Verbeugung nach draußen traute? Aber damit waren die Reserven keineswegs erschöpft. Als das Regieteam des neuen „Tannhäuser“ zum Schlussapplaus kam, da hatte die Ablehnung fast Orkanstärke. Es klang dieses Buh-Konzert wie lautes Wehgeschrei, das man wohl so übersetzen darf: Schon wieder ein tragischer Fehlgriff, der Wagner-Pilger für Jahre an eine schwache Deutung binden wird.

Es sitzen halt lauter Experten im Publikum auf Bayreuths Hügel. Natürlich sind viel Selbsternannte darunter. Aber es gibt auch die, die sensibel spüren, wenn jemand Bilder auf der Bühne zeigt, die das Ohr nicht hört. Die, die es leid sind, von Regisseuren in ideologischen Nachhilfeunterricht geprügelt zu werden. Sie machten ihrer Wut Luft, als es Nacht wurde über Bayreuth diesen Montag. Denn eine Meisteroper war gnadenlos verheizt worden – zu Biogas, Alkohol und Rübenkraut.

Zwei Welten zerreißen den Künstler

Das illustriert Joep van Lieshouts Bühne, die drei Aufzüge lang eine monströse Fabrik zeigt. Wo? Im „Tannhäuser“. Wovon erzählt er? Von einem Künstler, den zwei Welten - besser gesagt: die sie verkörpernden Frauen - zerreißen. Venus (Sinnlichkeit ohne Maß) und Elisabeth (edle Minne, aber etwas zu viele Regeln). Immer haben wir Männer uns gefragt, warum Tannhäuser überhaupt wegwollte von Venus, die doch vor allem jede Menge Spaß bedeutet. Nun, endlich haben wir die Antwort. Sebastian Baumgarten, Regisseur des Tannhäuser, zeigt uns Venus. Und die ist schwanger. Da türmt man natürlich.

Und wohin? In die Traufe der Wartburg. Für Baumgarten und seinen Bühnenbildner ist dieser Männerbund samt seinem blonden Köder Elisabeth das schiere Grauen. Fraß die Revolution wenigstens noch ihre Kinder, erzählt Baumgarten, wie die Restauration hässlich wiederkäut, ein Wertesystem, dass sein Verdautes raffiniert regeneriert. Sündenfrei im eigenen Saft: Das also leistet die Fabrik, in der man am besten besoffen ist.

„Tannhäuser“-Deutung ist eine Quälerei

Man könnte die Stationen dieses nicht zuletzt handwerklich höchst mittelmäßigen Abends (Sängerführung, Sichtebenen etc) im Detail nachkarten, landete aber wesentlich bei besagter Kompost-Botschaft: Beide Tannhäuser-Welten sind scheiße, am besten man lässt sich recyceln. Was Titelheld und Elisabeth auch tun. Bei ihr muss allerdings etwas nachgeholfen werden: Wolfram von Eschenbach, ein Edelmann, dessen kontrollierte Eifersucht wir bislang schätzten, stopft sie bei Baumgarten eigenhändig in die Biogasanlage.

Von einer Handvoll Kammerspiel-Preziosen abgesehen, ist diese Deutung eine Quälerei. Musikalisch gibt es immerhin Meriten. Zwar kann man über Stephanie Friedes Venus (die Ausgebuhte) wirklich kaum Rettendes sagen, ihr Minne-Gegenpart ist mit dem keuschen Sopran Camilla Nylunds als Elisabeth traumhaft besetzt. Während Lars Clevemann in der Titelpartie an seine Grenzen stößt, hat man in Bayreuth einen Bass wie Günther Groissböcks Landgraf seit Jahren nicht gehört: markig ohne billiges Muskelspiel, klangschön, ein Meistersinger! Michael Nagys beweglicher Wolfram kann sich hören lassen, auch wenn er die rollentypische vokale Noblesse noch vermissen lässt.

Applaus für den Chor

Der Chor wird in dieser bewegten Premierennacht zu Recht mit enormem Jubel gefeiert. Als Dirigent kommt Thomas Hengelbrock mit dem berühmten Festspielorchester dennoch nicht auf den Gipfel. Zwar spürt er bei zügigen Tempi wahrnehmbar dynamischen Strukturen nach, verliert aber dabei mitunter die großen dramatischen Bögen. Daran ändern auch ein paar philologische Neuentdeckungen des Alte-Musik-Experten nicht viel. Dabei ist das Festspiel-Orchester doch eigentlich wie ein Rolls Royce: Man muss schon viel verkehrt machen, um am Steuer keine gute Figur abzugeben.