Telgte. .

Aktionskünstlers HA Schult macht während seiner Reise um den Globus mit einer Installation aus 200 Müllfiguren in Telgte Station. Die stummen Streitkräfte rütteln auf und klagen an: Sie sind Produkte, ja Kinder, der heutigen Ex-und-Hopp-Gesellschaft.

1996 erblickten sie im Oval eines römischen Amphitheaters im niederrheinischen Xanten das Licht der Welt. Dann traten die Müllmenschen – 1000 lebensgroße Unrat-Skulpturen des Köln-Berliner Aktionskünstlers HA Schult – die Reise rund um den Globus an, um im Juli 2011 mit einer 200 Mann starken Restefraktion im westfälischen Telgte für kurze Zeit Fuß zu fassen.

„Einkehr in Telgte“ nennt HA Schult (72) die Installation der 200 Müllfiguren im Dümmertpark auf den Emsauen - unweit der Gnadenkapelle und der Clemenskirche, die jährlich von mehreren tausend Pilgern besucht werden.

Es war die Telgter Kulturamtsmitarbeiterin Simone Thieringer, die die Idee hatte, die schrottigen Gesellen zu einem Zwischenstopp in die westfälische Wallfahrtsmetropole zu bitten. Sie war vor einigen Jahren auf die Skulpturen aus Blechdosen, Elektronikschrott, Bauschaum und vielen anderen Wegwerfartikeln unserer Konsumgesellschaft in einem kleinen Nest an der irischen Küste gestoßen. „Die Jungs könnten auch was für Telgte sein“, dachte sie bei sich und fasste nach langem Grübeln den Mut, HA Schult in seinem Atelier anzurufen.

Armee der Mahnmal-Menschen oder „Trashen in Telgte“

Der Schöpfer der mannshohen Abfallprodukte – er nennt sie Trash-People oder Jetztzeit-Menschen - musste nicht lange überredet werden. Wenn der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass über das „Treffen in Telgte“ berichtet – einer fiktiven Begegnung von Dichtern gegen Ende des 30-jährigen Krieges – dann sollte auch der international anerkannte Künstler HA Schult seine Armee der Mahnmal-Menschen in Telgte aufmarschieren lassen. „Trashen in Telgte“ nennt es die örtliche Heimatzeitung.

So wie Grass sich in seiner Erzählung literarisch mit der eigenen Ohnmacht gegenüber dem Kriegs-Monster auseinandersetzt, so setzt Schult mit seinen Müllmännern ein Menetekel gegen den Wahnsinn der Konsumwelt. Und das in aller Welt.

Denn kaum hatte die Geburtsstunde der 1000 Trash-People in Xanten geschlagen, führte die Konserven-Kumpel in zwanzig Containern die Reise um die Welt: „Sie standen auf dem Roten Platz in Moskau, unter der La Grande Arche in La Defense, auf der Großen Mauer bei Jin Shan Ling, vor den Pyramiden von Gizeh und im schönsten Salon Europas, dem Grande-Place von Brüssel. Sie versammelten sich in 2800 Meter Höhe am Matterhorn, in 880 Meter Tiefe im Salzstock von Gorleben, und sie standen vor Kilkenny Castle in Irland.“

Vor dem Kölner Dom, dem Palais Herberstein in Graz, auf der Plazza del Popolo in Rom, dem Plaza Real in Barcelona und vor dem National Geographic Museum in Washington D.C. hinterließen die rostenden Mahnmale tiefe Eindrücke. 2008 machten sie eine kurze Stipvisite beim G8 Umweltgipfel in Syrakus. 2010 folgte ein zweites Treffen mit den vermeintlich mächtigsten Regenten dieser Welt in Fabriano. Doch es kam noch härter: 2011 schlug den wackeren Dosen-Gesellen der schneidende Sturm des ewigen Eises der Arktis ins dreckige Antlitz.

Trash-People auf den saftig grünen Wiesen der Emsauen

Gegen diese globalen Zurschaustellungen und die Kraftproben mit den Widrigkeiten der Natur an den bedeutendsten Orten der Menschheitsgeschichte ist die Einkehr des Blechbüchsenheeres in Telgte ein Besuch auf einem Ponyhof. „Sieht das nicht herrlich aus?“, fragt der Aktionskünstler HA Schult rhetorisch in die Runde, als er seine Trash-People auf den saftig grünen Wiesen der Emsauen aufstellt.

Gerade hier, an diesem idyllischen Plätzchen, ausgeleuchtet von den wärmenden Strahlen der Julisonne, erwecken die vor sich hin gammelnden Müll-Menschen höchste Aufmerksamkeit, werden zum begreifbaren Monument gegen den Moloch Müll. Diese „Asylbewerber der Konsumepoche“ sind Produkte, ja Kinder, der heutigen Ex-und-Hopp-Gesellschaft. Dieser Auswurf – gepresst in Figuren - ist unkaputtbar. Diese stummen Streitkräfte rütteln auf, klagen an. Wortlos, begleitet vom nahen Pilgergesang.

Ganz anders der Schöpfer der Mahnmal-Männer: Am kommenden Sonntag, 17. Juli, wird HA Schult nach dem Konzert „The long breath – der lange Atem“ von Anna Zlotovskaya um 17 Uhr im Bürgerhaus Telgte, Baßfeld 9, bei einer Signierstunde anwesend sein und sich den Fragen der Bürger stellen. Weitere Infos unter www.telgte.de oder Telefon 02504 / 690 100. Die Ausstellung ist bis zum 31. Juli in Telgte im Dümmertpark zu sehen. Der Eintritt ist frei.