Ruhrgebiet. .

Performance-Könige und Dirndl-Dominas: Das Festival „Impulse“ lädt seit 20 Jahren zum Bestentreffen der freien Theater.

Das freie Theater galt lange als das kleine, etwas schäbige Geschwisterchen des Stadttheaters, dem man lieber die Schulaula zuwies als das große Schauspielhaus. Aber im 20. Jahr seines Vorzeige-Festivals „Impulse“ steht das freie Theater längst mittendrin – im Stadttheater. Weil mit den Jahren alles gewachsen ist – Anspruch, Ausstattung, Publikumszuspruch – sind auch die großen Häuser mit von der Partie, macht das Düsseldorfer Schauspielhaus die Bühne frei für ein philosophisches Streichquartett mit Gorillamaske und das Bochumer Schauspielhaus hopst zum basswummernden Takt von DJane Peaches, die Lady Gaga der Performance-Bühnen.

Bis zum 10. Juli kann man die Vielfalt nun wieder entdecken, in Mülheim, Bochum, Düsseldorf und Köln, 50 Aufführungen auf 25 Bühnen, von der Cowboy-Tanzinstallation „The Host“ bis zum Solo über Klimawandel („Cry Me A River“). „Heute schon sehen, worüber man morgen spricht“, werben die künstlerischen Leiter Tom Stromberg und Matthias von Hartz, Nachfolger von „Impulse“-Erfinder Dietmar N. Schmidt. Und zeigen einmal mehr, dass die Übergänge zwischen frei und etabliert, zwischen subventioniert und alimentiert fließend geworden sind.

„Wir begrüßen das sehr“, sagt Sibylle Broll-Pape, Chefin des Bochumer Prinz-Regent-Theaters, seit 20 Jahren mittendrin im Impulse-Geschehen und unter anderem Gastgeberin der „Rabtaldirndln“. „Aufplatzen“, das Programm dieser strengen Dirndl-Dominas aus der Oststeiermark, ist schräg und spröde, grausam-lustig und verstörend-nett, ein Abend, der viel von der Anarchie, Unberechenbarkeit und Sprenglust behalten hat, die man dem Freien Theater gern zuschreibt. Denn die als touristische Diashow getarnte Jausen-Sause mit Schnaps und Schwof entpuppt sich als schonungsloser Blick auf alltäglichen Sexismus und bürgerliche Verlogenheit. (FFT Juta Düsseldorf, 5./6. Juli 19.30 Uhr, Ringlokschuppen Mülheim, 8. Juli 19 Uhr)

Die wilden Jahre sind beim Bestentreffen der deutschsprachigen freien Bühnen erfreulicherweise immer noch nicht vorbei. Aber viele „Freie“ von einst sind längst feste Größen im etablierten Spielbetrieb. Centraltheater-Intendant Sebastian Hartmann, unlängst bei den Ruhrfestspielen mit der Wenders-Adaption „Paris, Texas“ zu Gast, hat hier seine Meriten gesammelt, Theaterformneuerfinder wie Rene Pollesch und Rimini-Protokoll gelten als Impulse-Entdeckungen. Vom Festival als Karrierebeschleuniger ist im Programmheft mit Fug zu lesen. Vielleicht gelingt das nicht immer so idealtypisch wie beim Theaterkollektiv „She She Pop“, das mit seiner Shakespeare-Überarbeitung „Testament“ zuletzt beim Berliner Theatertreffen eingeladen war und nun bei den „Impulsen“, die ja mal als Gegenwurf des Edelbühnenfestivals gedacht waren.

„Testament“ ist eine staunenswerte Fortschreibung - der eigenen Off-Theater-Geschichte und des klassischen Lear-Stücks. Ist eine kluge Neubearbeitung alter Fragen, nach Liebe, Pflichtgefühl, Generationengerechtigkeit. Dass die vier Performer von „She She Pop“ dazu ihre eigenen Väter auf die Bühne geholt haben, macht den Abend radikal und echt, herzlich und schmerzlich. Zeigt alte Männer und ihre konfliktbewussten Kinder. Und verhandelt die zeitgemäßen Fragen im klassischen Kontext: Wohin mit dem Stolz, den Bücherwänden, dem Werkzeugkeller, wenn der alte König irgendwann zum Pflegefall wird? „She She Pop“ zerren das Privateste an die Öffentlichkeit und beherrschen doch alle Mittel künstlerischer Distanz, damit ihre alten Herren auch in Hemd und Unterhosen noch Würde bewahren. Theater mit großer Zukunft.